Читать книгу Faith und Leathan - Ursula Tintelnot - Страница 8

Om­bra

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Der Him­mel über ihr bil­de­te einen azur­blau­en, schim­mern­den Bo­gen.

Die Stu­te flog mit Faith da­hin. Ihre hel­le Mäh­ne flat­ter­te im Wind wie die ro­ten Haa­re ih­rer Rei­te­rin. Sie hat­te die Stu­te Om­bra ge­tauft, was so viel be­deu­te­te wie Schat­ten oder auch Schutz. Das Tier war ein Ge­schenk Ma­ga­lies, un­fass­bar schnell. Die Stu­te be­herrsch­te die Kunst, sich mit sei­ner Rei­te­rin dem Auge des Be­trach­ters zu ent­zie­hen wie ein zer­rin­nen­der Ne­bel­streif. Wenn sie Om­bra rief, er­schien die Stu­te, egal wo sie sich auf­hielt.

»Falls du in Ge­fahr ge­rätst, wird sie dir nütz­lich sein.«

Faith lä­chel­te. Ihre Mut­ter hör­te nie auf, sich Sor­gen zu ma­chen, ob­wohl sie wuss­te, dass Faith’s ma­gi­sche Fä­hig­kei­ten in­zwi­schen ge­wach­sen wa­ren. Sie konn­te ganz gut auf sich selbst auf­pas­sen.

Aber sie lieb­te Om­bra, die ihre Wün­sche zu er­ra­ten schien. Pferd und Rei­te­rin wirk­ten wie eine un­trenn­ba­re Ein­heit. Seit Lea­than nicht mehr sei­nem Ehr­geiz frö­nen konn­te, Fürst der ge­sam­ten An­ders­welt zu wer­den, war das Le­ben ru­hi­ger ge­wor­den. Ihre Ge­dan­ken wan­der­ten zu Ri­chard. Sie ver­miss­te ihn.

Faith wuss­te, wie schwer es ihm fiel, in der dunk­len Welt sei­nes Va­ters zu le­ben.

Om­bra trab­te mun­ter in der Son­ne an den Rän­dern der Obst­plan­ta­gen ent­lang. Sie hör­te das Ge­läch­ter und die Rufe der Feen und Glit­ter, die bei der Ern­te ha­l­fen. Faith hät­te den An­blick des Lichts und die Fa­r­ben, die sich vor ihr aus­brei­te­ten, ger­ne mit ih­rem Mann ge­teilt.

Sie konn­te Ri­chard vor sich se­hen, in sei­ner düs­te­ren Fel­sen­burg, im schwa­chen Schein ei­nes vi­o­let­ten Him­mels­kör­pers. Statt der über­vol­len Obst­bäu­me gab es dort un­ten nur grau­en Stein und die­ses schreck­li­che La­by­rinth mit sei­nen töd­li­chen Schling­pflan­zen und den ab­sto­ßen­den Klap­pe­rern, die sich in die Oh­ren ih­rer Op­fer bohr­ten, um ih­nen das Ge­hirn aus­zusau­gen.

Ri­chard war es nicht ge­lun­gen, die­sen grau­en­vol­len Gar­ten, dem Frem­de nie­mals le­bend ent­ka­men, zu ent­fer­nen. Das La­by­rinth war ei­ner von Lea­thans bö­sen Strei­chen, und nur er konn­te es zum Ver­schwin­den brin­gen.

Um die­sem teuf­li­schen Gar­ten die Macht zu neh­men, ließ Ri­chard in den Näch­ten hel­le Feu­er bren­nen. Licht wehr­te die Klap­pe­rer ab und nahm den Gift­pflan­zen die Kraft.

Faith hat­te ein leich­tes Knacken ge­hört. Sie horch­te. Nein, jetzt blieb al­les still, nichts reg­te sich. Ei­ner der klei­nen Glit­ter, der sich einen Spaß mit ihr mach­te? Die­se grü­nen Ge­sel­len wa­ren ver­spielt, im­mer auf Spaß aus, und sie klau­ten al­les, was ih­nen in die Fin­ger fiel. Glit­ter wa­ren ein fröh­li­ches Volk von Die­ben.

Es lag ih­nen im Blut, al­les zu neh­men, was ih­nen ge­fiel. Aber sie be­hiel­ten nichts. Al­les, was sie stahlen, ga­ben sie wie­der her oder ver­schenk­ten es groß­zü­gig. Die­se klei­ne­re Art von El­fen be­weg­te sich in der Luft und konn­te fast un­sicht­bar wer­den.

Lang­sam ritt sie wei­ter. Aber sie blieb auf der Hut. In den letz­ten Jah­ren hat­te sich ihr In­stinkt ge­schärft. Ein Glit­ter hät­te sich längst ki­chernd be­merk­bar ge­macht. Im Azur­blau des Him­mels schie­nen graue Schlie­ren auf, ver­weh­ten und er­schie­nen an an­de­ren Stel­len er­neut. Die He­xen flie­gen, dach­te sie. War­um?

Sie sah hin­über zum Eis­see. Dort­hin war sie un­ter­wegs. Alle Feen lie­fen be­geis­tert Schlitt­schuh. Auch sie selbst. Sie zog die Zü­gel an und lausch­te.

Der See im Bir­ken­wäld­chen vor ihr war zu al­len Jah­res­zei­ten eine spie­gel­glat­te Flä­che. Jetzt hör­te sie es wie­der, die­ses lei­se Knacken. Wie ein schnell wach­sen­des Spin­nen­netz über­zo­gen scha­r­fe Ris­se die ma­kel­lo­se Spie­gel­flä­che. Kein Zwei­fel, das Eis brach. Aus den Spal­ten quoll eine dunk­le Mas­se, dick wie Blut, von dunk­lem Rot. Die Eis­flä­che ver­wan­del­te sich vor ih­ren Au­gen in einen mo­ras­ti­gen Sumpf. Köp­fe ho­ben und senk­ten sich, blin­de Au­gen­höh­len, auf­ge­ris­se­ne zahn­lo­se Mün­der.

Sie schna­lz­te mit der Zun­ge. Om­bra setz­te sich wie­der in Be­we­gung. Am Ran­de des Sees stieg Faith ab. Sie knie­te nie­der und streck­te die Hand aus. Et­was sag­te ihr, dass das, was sie sah, nicht mit der Wirk­lich­keit über­ein­stimm­te. Sie hat­te das Ge­fühl, von au­ßen ma­ni­pu­liert zu wer­den. Das hat­te schon ein­mal je­mand ver­sucht. Da­mals war sie ge­wapp­net ge­we­sen. Lea­than hat­te es nicht ge­schafft, in ihre Ge­dan­ken ein­zu­drin­gen.

Aber jetzt, nach­dem von dem Dun­kel­al­ben lan­ge Jah­re kei­ne Ge­fahr mehr aus­ge­gan­gen war, war sie nach­läs­sig ge­wor­den. Sie be­rühr­te die Ober­flä­che vor ihr und spür­te … ei­si­ge Käl­te. Gleich­zei­tig ge­wann die Eis­flä­che ihre Fes­tig­keit wie­der, vom blut­ro­ten Mo­rast war nichts mehr zu se­hen.

Faith er­hob sich.

Ihr war kalt, aber nicht von der Be­rüh­rung mit der ei­si­gen Flä­che vor ihr. War Lea­than zu­rück?

Sie sah hin­auf zum Him­mel. Sie ahn­te, dass der Flug der He­xen mit der Rü­ck­kehr des dunk­len Fürs­ten zu tun hat­te. Mei­ne Kin­der wer­den nicht mehr si­cher sein, dach­te sie. Wir alle wer­den nicht mehr si­cher sein.

Om­bra, flieg. Die Stu­te flog da­hin. Vor­bei an den Plan­ta­gen, über ab­ge­ern­te­te Äcker, Wei­den und grü­ne Wie­sen. Sie setz­te über Zäu­ne, ge­fal­le­ne Baum­stäm­me und klei­ne Bä­che. Faith ge­noss die­sen Ritt, trotz der Furcht, die sie emp­fand.

End­lich tauch­te die ver­wa­sche­ne, zart­ro­sa ge­stri­che­ne Fas­sa­de vor ihr auf. Leuch­tend in der Son­ne wie die Mor­gen­rö­te.

Den lang ge­zo­ge­nen Mit­tel­teil des drei­stö­cki­gen Haupt­ge­bäu­des flan­kier­ten links und rechts zwei nied­ri­ge­re Sei­ten­flü­gel, de­ren Mau­ern hin­ter zar­ten Ro­sen­ran­ken so gut wie un­sicht­bar wa­ren.

Ihr neu­es Zu­hau­se war wun­der­schön. Sie hör­te die hel­len Stimm­chen ih­rer Töch­ter, be­vor sie die bei­den er­blick­te. Die Fon­tä­nen der Brun­nen vor den Sei­ten­flü­geln plät­scher­ten. Aus der Kü­che kam Ge­läch­ter.

Sie such­te am Him­mel nach ei­nem Zei­chen. Aber er zeig­te sich in strah­len­dem Blau. Hat­te sie sich ge­irrt? Be­deu­te­te es, von El­sa­be nichts zu hö­ren, dass al­les in Ord­nung war? Sie zit­ter­te.

Faith sprang vom Pferd und warf die Zü­gel ei­nem vor­bei­lau­fen­den Elf zu, der sie ge­schickt, aber auch er­staunt auf­fing. Faith küm­mer­te sich nach dem Rei­ten grund­sätz­lich selbst um ihre Stu­te.

Sie eil­te in die Rich­tung, aus der Lot­tes und Li­sas Stim­men ka­men. Als sie sah, mit wem Ma­ga­lie sprach, wur­de ihr klar, dass sie sich nicht ge­täuscht hat­te. El­sa­be sah ihr ernst ent­ge­gen.

»Du weißt es schon, nicht wahr?«

»Ich fürch­te es. Ist Lea­than zu­rück?«

»Alle Zei­chen spre­chen da­für. Aber Ge­wiss­heit ha­ben wir erst, wenn Ri­chard …«

»Nein! Ich will nicht, dass er ins Moor geht.« Faith hob Lot­te auf die Hüf­te und drück­te sie an sich.

»Er ist schon ge­gan­gen.«

Ma­ga­lie be­trach­te­te ihre Toch­ter. Sie frag­te sich nicht zum ers­ten Mal, ob ihre Ent­schei­dung, in der An­ders­welt zu le­ben, rich­tig war. War sie stark ge­nug, hier zu le­ben? In der Men­schen­welt bei ih­rem Va­ter auf­ge­wach­sen, ge­hör­te Faith ei­gent­lich nicht hier­her.

Ich wür­de furcht­bar lei­den, wenn sie in ihre Welt zu­rück­kehr­te, dach­te sie. Auch auf mei­ne En­kel­töch­ter müss­te ich ver­zich­ten.

Sie fing El­sa­bes mit­füh­len­den Blick auf. Die Hexe hat­te ihre Ge­dan­ken ge­le­sen.

Sie sag­te: »Wir müs­sen wach­sam sein.«

Ma­ga­lie sah ihr nach, bis die zar­ten grau­en Schlie­ren am Him­mel nicht mehr zu se­hen wa­ren.

Faith und Leathan

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