Читать книгу Faith und Leathan - Ursula Tintelnot - Страница 26

Ken­tau­ren

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Faith war un­ge­dul­dig. Sie sehn­te sich so sehr da­nach, Lot­te in die Arme zu neh­men, und ver­stand nicht, war­um Maia so trö­del­te.

»Ich trö­de­le nicht, Kind. Die Ken­tau­ren sind un­be­re­chen­bar, manch­mal ag­gres­siv. Es ist bes­ser, sich ih­nen ge­mäch­lich zu nä­hern.« Maia hat­te ein­mal mehr Faith’s Ge­dan­ken er­ahnt.

»Ent­schul­di­ge, Maia, aber ich will mein Baby wie­der­ha­ben.«

Na­tür­lich willst du das. Maia dach­te an Ar­mi­da. We­der Lea­than noch Aglaia hät­ten sich um ihre Toch­ter nur halb so vie­le Sor­gen ge­macht oder sich gar nach ihr ge­sehnt. Das Mäd­chen lief weit­ge­hend un­be­auf­sich­tigt her­um und mach­te, was es woll­te.

Ohne er­sicht­li­chen Grund zü­gel­te Maia ihre Stu­te. Faith, Ri­chard, Adam und Ju­li­an hiel­ten eben­falls an. Sie be­fan­den sich in ei­nem Hohl­weg, um­ge­ben von ho­hen Fel­sen, die sich in den grau­en Him­mel reck­ten. Maia war­te­te. Sie hat­te Pho­los be­reits ent­deckt, hü­te­te sich al­ler­dings, ihn das mer­ken zu las­sen. Sie lä­chel­te. Die­ser stol­ze und eit­le Ken­taur wür­de sich erst dann be­merk­bar ma­chen, wenn er es selbst woll­te. Sie wur­den be­sich­tigt und si­cher nicht nur von ihm. Lang­sam ritt sie wei­ter. Wie aus der Erde ge­stampft tauch­te vor ih­nen der schnee­wei­ße Ken­taur auf. Den Kopf ei­nes El­fen zier­te ein ge­dreh­tes Horn. Mus­ku­lö­se Arme, der mäch­ti­ge Ober­kör­per en­de­te im Leib ei­nes Ein­horns. Vier kräf­ti­ge Bei­ne mit ge­spal­te­n­en Hu­fen. Die ihn ver­mut­lich zu ei­nem ge­schick­ten Klet­te­rer mach­ten, dach­te Faith.

Sie war fas­zi­niert vom An­blick die­ser ein­drucks­vol­len, aber auch be­ängs­ti­gen­den Er­schei­nung. Der Ken­taur über­rag­te so­gar die ge­wal­ti­gen Rap­pen, auf de­nen Adam und Ju­li­an sa­ßen, um ei­ni­ges. Auch Ri­chard war be­ein­druckt. Au­ßer Maia war noch kei­ner von ih­nen ei­ner sol­chen Krea­tur be­geg­net.

»Pho­los, ich grü­ße dich.«

Es folg­te ein Ri­tu­al, des­sen Sinn Faith ent­ging und das ihre Be­herr­schung auf eine har­te Pro­be stell­te. Als Pho­los end­lich mit Hu­fe­schar­ren und Ver­beu­gen den Weg frei­gab, war sie am Ende ih­rer Ge­duld. Ne­ben ihm tauch­te ein Ken­tau­ren­mäd­chen auf. Zier­lich, mit ei­nem gol­den schim­mern­den Fell. Das Horn auf sei­nem Kopf be­gann ge­ra­de erst zu wach­sen.

»Das ist mei­ne Toch­ter, Ro­sa­lie.«

Wie­der das Be­grü­ßungs­ri­tu­al. Faith vi­brier­te vor Ge­reizt­heit.

Pho­los führ­te sie in einen gol­den ver­klei­de­ten Tun­nel zwi­schen Fel­sen, die sie nie­mals al­lei­ne ent­deckt hät­te. Kas­ka­den von Schling­pflan­zen ver­bar­gen den Ein­gang voll­stän­dig. Da­nach ging es steil berg­auf bis zu ei­ner Öff­nung im Fels. Sie lie­ßen die Pfer­de ste­hen und be­tra­ten zu Fuß eine gi­gan­ti­sche, von Fa­ckeln er­hell­te Höh­le. Ken­tau­ren gin­gen den un­ter­schied­lichs­ten Be­schäf­ti­gun­gen nach, aber Faith sah nur einen klei­nen grü­nen Elf, Os­kar.

Er flog auf sie zu. »Lot­te geht es gut, ich habe sie nicht aus den Au­gen ge­las­sen«, schluchz­te er und wein­te bei­na­he ho­ri­zon­ta­le Trä­nen.

»Wo ist Lot­te, Os­kar?«

»Hier ist dei­ne Toch­ter.« Vor Faith war Daph­ne auf­ge­taucht. Sie trug ein strah­len­des Baby auf den Ar­men.

Maia be­fand sich auf dem Weg zur Fel­sen­burg. Die Ken­tau­ren hat­ten sie be­wir­tet und wa­ren für ihre Ver­hält­nis­se freund­lich ge­we­sen. Die­se We­sen be­tör­ten und ver­wirr­ten sie glei­cher­ma­ßen. Sie wa­ren klug und krie­ge­risch zu­gleich, und es hieß, dass sie un­end­li­che Schät­ze be­sa­ßen. Sie führ­ten kei­ne Krie­ge. Of­fe­nem Kampf gin­gen sie aus dem Weg. Das hielt sie nicht da­von ab, aus dem Hin­ter­halt zu­zu­schla­gen. Wer ih­nen zu nahe kam, wur­de rück­sichts­los von den zer­k­lüf­te­ten Fel­sen ge­sto­ßen.

Für Maia wa­ren sie so et­was wie Wäch­ter. Hin­ter die­sen ab­wei­sen­den, kars­ti­gen Ber­gen lag ihr Eu­len­reich ver­bor­gen. Da nie­mand an den Ken­tau­ren vor­bei­kam, war die­ser Weg für alle ver­sperrt. Sie war si­cher, dass die Ken­tau­ren ahn­ten, dass dort et­was war, von dem nie­mand et­was wis­sen soll­te. Sie wa­ren schweig­sam und ab­wei­send, was Maia ent­ge­gen­kam. Die­se ei­gen­ar­ti­gen We­sen wür­den mit nie­man­dem dar­über spre­chen. Sie sah zum Him­mel auf und war über­rascht, wie schnell der vi­o­let­te Him­mels­kör­per wei­ter ge­wan­dert war.

Sie muss­te sich be­ei­len. Si­be­ria war noch im­mer an­ge­ket­tet, wie sie die Hexe ver­las­sen hat­te. Viel län­ger konn­te sie nicht zwi­schen den glü­hen­den Wän­den blei­ben, ohne zu ver­bren­nen. Die Fa­r­ben, die sie an­ge­wandt hat­te, wa­ren töd­lich. Mai­as Ge­wis­sen war nicht ganz rein. Sie hat­te im­mer, wenn es mög­lich war, ver­mie­den, schwa­r­ze Ma­gie an­zu­wen­den, aber in die­sem Fall … Was konn­te sie an­de­res tun, wenn es sich um eine schwa­rz­ma­gi­sche Hexe han­del­te?

Sie schüt­tel­te die Ge­dan­ken ab und trieb ihre klei­ne Stu­te an. In ih­rem In­nern tauch­te Eli­a­nas Bild auf, und sie hör­te noch ihre War­nung, als sie ihr die ge­wünsch­ten Fa­r­ben überg­ab: »Sei vor­sich­tig da­mit! In der rich­ti­gen Mi­schung kön­nen die­se Fa­r­ben al­les be­wir­ken. Sie sind stark und vol­ler Ma­gie. Ein Licht­strahl der rich­ti­gen Fa­rb­mi­schung wird hart wie Stahl, er kann zu ei­nem scha­r­fen Schwert wer­den oder zu ei­ner Brü­cke, über die du be­den­ken­los ge­hen kannst. Die rich­ti­gen Fa­r­ben mit­ein­an­der hei­len. In der falschen Mi­schung ma­chen sie süch­tig und de­pres­siv, sie kön­nen so­gar tö­ten.«

Plötz­lich hat­te Maia es ei­lig. Adam blieb dicht an ih­rer Sei­te. Er wäre lie­ber bei Ri­chard ge­blie­ben, als mit ihr zur Stadt zu­rück­zu­keh­ren. Aber er und Faith wa­ren in Ju­lians Be­glei­tung ohne ihn in die Lich­te Welt auf­ge­bro­chen.

Daph­ne schritt ne­ben Om­bra her. Sie über­rag­te Faith’s Stu­te eben­so wie Co­ro­ne, Ri­chards Pferd. Nach ei­ner Wei­le bog sie ih­ren gro­ßen Kopf zu Lot­te, die in Ri­chards Ar­men schlief.

»Eure klei­ne Ka­rot­te hat gro­ßes Po­ten­zi­al«, sag­te sie. »Ich wür­de sie ger­ne vie­les leh­ren, aber sie wird nicht in die­ser Welt auf­wach­sen.«

Faith sah sie auf­merk­sam an. »War­um sagst du das?«

»Ich sehe, was ich sehe«, sag­te Daph­ne kryp­tisch. Sie ver­ab­schie­de­te sich mit lei­sem Schnau­ben.

Als sie ver­schwun­den war, frag­te Faith Ri­chard, ob er ver­stan­den habe, was Daph­ne mein­te.

Er schüt­tel­te den Kopf. »Von Maia weiß ich, dass die Ken­tau­ren in die Zu­kunft se­hen kön­nen.«

Sie rit­ten bei­de, in ihre ei­ge­nen Ge­dan­ken ver­sun­ken, ne­ben­ein­an­der her. Über ih­nen spann­te sich das Blau des Him­mels. Os­kar flog ge­löst und glü­ck­lich wie­der zu­hau­se zu sein, so hoch er konn­te. Vö­gel zwit­scher­ten, schlank bo­gen sich hel­le Bir­ken im Wind. Lot­te schlug die Au­gen auf und lä­chel­te ih­ren Va­ter an.

Es ist schön, die­ses Land, dach­te Faith, das mein Land sein soll­te und es doch nicht ist. Aus den Au­gen­win­keln sah sie, dass Ri­chard sie for­schend an­blick­te.

Auch dein Land ist es nicht. Du kommst aus ei­ner dunk­le­ren, noch weit­aus ge­fähr­li­che­ren Welt.

Sie muss­ten eine Lö­sung fin­den. Als sie nach vor­ne blick­te und Lisa auf sich zu­stol­pern sah, ver­gaß sie ihre sor­gen­vol­len Ge­dan­ken. Ja, Ma­ga­lie hat­te Ro­bert und Lisa wie­der in die An­ders­welt ein­ge­las­sen.

Am Abend wur­de die Ta­fel un­ter der Kas­ta­nie ge­deckt. Sie bog sich un­ter den Spei­sen. Lot­tes Rü­ck­kehr muss­te ge­büh­rend ge­fei­ert wer­den. Die Kin­der balg­ten sich, spiel­ten mit den Glit­tern und stopf­ten sich mit kan­dier­ten Früch­ten, Nüs­sen, gold­fa­r­be­nen Pfir­si­chen und Äp­feln voll. Silb­ri­ges Mond­licht zeich­ne­te Schat­ten und Licht auf fröh­li­che Ge­sich­ter. Feen und El­fen ver­sam­mel­ten sich, aus­ge­las­sen wie lan­ge nicht mehr.

Ma­ga­lie ge­noss den Tru­bel, aber ihre Sorg­lo­sig­keit war ei­ner ge­wis­sen Un­ru­he und der Furcht vor wei­te­ren bö­sen Über­ra­schun­gen ge­wi­chen. Sie hat­te Wa­chen ein­ge­teilt. Ro­bert hat­te einen Arm um ihre Schul­tern ge­legt.

Ri­chard und Faith sa­ßen mit Ju­li­an am un­te­ren Ende der Ta­fel, als Ju­li­an ih­nen die scho­ckie­ren­de Mit­tei­lung mach­te. Jetzt wuss­te Ri­chard, war­um Or­kus bei Lea­than ge­we­sen war. Die La­va­ti­den soll­ten die Fel­sen­burg ver­grö­ßern, und da es nicht mög­lich war, hö­her zu bau­en, woll­te Lea­than sie unter­höh­len. Faith starr­te Ju­li­an an. »Sie wird über euch zu­sam­men­bre­chen.«

»Das ist das, was auch Or­kus be­fürch­tet, aber Lea­than dul­det kei­ne Wi­der­re­de. Wenn er be­fielt, müs­sen alle ge­hor­chen«, sag­te Ju­li­an.

Ri­chard war blass ge­wor­den. »Wir wer­den un­ser Zu­hau­se ver­lie­ren.«

Er hat wirk­lich Zu­hau­se ge­sagt, dach­te Faith. Wie soll ich dich da­von über­zeu­gen, dass die An­ders­welt ob dun­kel oder hell, schat­tig oder licht, nie un­ser Zu­hau­se sein kann?

Sie muss­ten re­den, aber wie konn­te sie ihn dazu brin­gen, mit ihr und den Kin­dern in ih­rer Welt zu le­ben? Sei­ne Welt war in Ge­fahr. Wür­de Ri­chard sich sei­ner Ver­ant­wor­tung ent­zie­hen?

Das war der Mo­ment, in dem Faith ihre ein­sa­me Ent­schei­dung traf.

Ma­ga­lie blick­te über die gan­ze Län­ge des Ti­sches zu Faith hin­über.

»Ro­bert?«

»Mei­ne Liebs­te.«

»Sie wird ge­hen.«

»Wer wird ge­hen?«

»Un­se­re Toch­ter.«

Ro­bert folg­te Ma­ga­lies Blick. Faith saß mit Ri­chard und Ju­li­an zu­sam­men. Sie hat­te die­sen Blick, den er gut kann­te. Schon als klei­nes Mäd­chen konn­te sie so ent­schlos­sen aus­se­hen, wenn sie et­was woll­te, und häu­fig ge­nug war es ihm nicht ge­lun­gen, sie um­zu­stim­men. Ihr Wil­le war stark. Sie war stark, ein jun­ge Frau, die sich im Le­ben durch­set­zen wür­de.

»Wirst du mit ihr und den Kin­dern ge­hen?« Ma­ga­lies Stim­me war brü­chig.

»So­lan­ge du mir dei­ne Welt nicht ver­schließt, wer­de ich bei dir sein.«

Faith wür­de ohne ihn le­ben kön­nen. Er lieb­te sei­ne Toch­ter, aber der Lie­be zu Ma­ga­lie war er hilf­los aus­ge­lie­fert. Es war nicht das ers­te Mal, dass er sich frag­te, ob der Wil­le der Fürs­tin dar­an schuld war.

»Nein, mein Lie­ber, wir kön­nen viel, auch den Geist be­ein­flus­sen, aber die Lie­be, nein, die Lie­be nicht.«

Ma­ga­lie küss­te ihn. Sie hat­te sei­ne Fra­ge be­ant­wor­tet, ohne dass er sie aus­ge­spro­chen hat­te. Wie so oft.

»Ich brin­ge die Kin­der ins Bett.«

Faith er­hob sich, nick­te Ju­li­an und Ri­chard zu und ging, Lot­te auf dem Arm, Lisa an der Hand, auf das Haus zu. Eine schlan­ke Ge­stalt mit feu­er­ro­tem Haar. Ri­chard spür­te, dass ge­ra­de et­was mit ihr ge­sche­hen war.

Er wand­te sich an Ju­li­an. »Wir müs­sen das ver­hin­dern.«

»Es ist schön, dein Weib.« Auch Ju­li­an hat­te Faith nach­ge­se­hen.

»Ich weiß.«

Ri­chard grins­te. Er kann­te die Schwä­che sei­nes Freun­des. »Aber lass uns über­le­gen, ob und wie wir mei­nen Va­ter stop­pen kön­nen.«

Ju­li­an schob die Un­ter­lip­pe vor. »Wenn du mich fragst, gar nicht.«

»Sehr hilf­reich, mein Freund.«

Faith und Leathan

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