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Kapitel 1 Die Rückkehr
ОглавлениеAus der Ferne eine Ruine, glich das Bauwerk beim Näherkommen einer düsteren, prachtvollen Kathedrale. Der Wind, der sich hier niemals legte, weinte wie ein untröstliches, verlassenes Kind um Türme und Pfeiler.
Herrisch aufstrebende Säulen stiegen scheinbar bis in den Himmel. Immer noch wuchsen Mauern und Pfeiler. Hunderte von abschreckenden moosbewachsenen Statuen und grausigen, grinsenden Skulpturen besetzten Wände und Nischen der Fassade. Die Steintoten. Grässlich verzerrte Gesichter starrten auf die Beschauer herunter. Sie bewegten sich, kauerten auf Simsen und tanzten in Nischen ihre obszönen Tänze. Schwarze haarige Spinnen woben ihre Netze in jedem Winkel. Unzählige Vögel nisteten in dem Gemäuer, überzogen mit ihrem Kot die Mauern mit weißem Pelz. Die Tore der Außenmauern waren mit eisernen Gittern verschlossen.
Die Moorweiber, bezaubernd schöne Gestalten, näherten sich neugierig den Lebenden Steinen. Ihr Tanz im Wind war betörend. Süßer Blütenduft weckte die Sinne, ihr silbernes Lachen, ein nicht zu bezwingendes Begehren. Das Letzte allerdings, das die Männer erblickten, die ihrer Begierde folgten, war ihre wahre Gestalt.
Das silberne Lachen wurde zum Kreischen aus zahnlosen Mündern. Das eben noch lockige Haar, ein Nest sich windender Schlangen. Pures Grauen. Wenn sie die Wahl gehabt hätten, wären ihre Opfer lieber im Moor versunken, als in den Armen dieser grässlich stinkenden Schreckgestalten jämmerlich zu verenden.
Auch die Moorweiber wussten von der Legende: Eines Tages sollten die Steintoten wieder zum Leben erwachen. Sie würden herabsteigen aus ihrer steinernen Gefangenschaft.
Endlich tat sich etwas. Nach so vielen Jahren, während derer sich die Fratzen und Skulpturen nur auf den Mauern bewegt hatten, verschwand eine nach der anderen aus den Mauervertiefungen, von Simsen und Türmen. Einige bevölkerten bereits den Park. Immer mehr dieser Gestalten bewegten sich um den See herum und ergriffen ganz selbstverständlich Besitz von der Ebene. Leathans dunkle Elfen erwachten zum Leben.
Es schien den Moorweibern, als ob die Mauern langsamer atmeten, sie stöhnten und keuchten wie eine Greisin mit einer altersschwachen Lunge. Noch immer veränderten die Steine ihr Aussehen. Mauern verschwanden, um woanders wieder zu wachsen. Leathan und Siberia waren nicht mehr zu sehen. Auch auf den Vorsprüngen, Türmen und in den Erkern konnten die Weiber sie nicht entdecken.
Erschrocken wichen sie zurück, als sie zorniges Gebrüll aus dem Inneren der Anlage vernahmen. Gleich darauf hörten sie das schrille Kreischen der Hexe. Kein Zweifel, der Fürst der Schattenwelt und die schwarzmagische Hexe waren zurück. Es hörte sich nicht so an, als habe der jahrelange steinerne Tanz den Dunkelalb und Siberia versöhnt.
»Du hast unseren Sohn getötet, und dafür wirst du büßen.«
»Du hättest diesen Verräter niemals austragen dürfen.«
Das Geschrei brach abrupt ab.
Die Moorweiber zogen sich zurück. Sie hatten schon zu viel gehört und wollten nicht von Leathan überrascht werden. Viele Jahre lang waren das Moor und die wilde Gegend um die Lebenden Steine verwaist gewesen. Nur die Moorweiber mit Herden verwilderter Pferde und den stöhnenden Untoten auf der unwirtlichen Ebene. Hierher wagten sich nur wenige Bewohner der Schattenwelt, und oft genug bezahlten sie ihren Wagemut mit dem Leben.
Die Morituri warteten gierig auf lebendige Seelen, die sie umfangen und in ihren Umarmungen ersticken konnten. Diese Wesen, die sogar den Feen und Elfen gefährlich werden konnten, bestanden aus nebelhaften, stinkenden Häuten, in die sie ihre Opfer hüllten, um ihnen die Seelen aus den Leibern zu saugen.