Читать книгу Faith und Leathan - Ursula Tintelnot - Страница 23
Flammen
ОглавлениеMagalie war ratlos. Unsichtbar hatte sie die Felsenburg von oben bis unten durchsucht. Irgendetwas sagte ihr, dass weder Oskar noch Lotte in der Burg waren, aber sie durchstreifte sie trotzdem. Sie war sicher, dass die beiden hier gewesen waren. Hatte man sie weggebracht? Wer? Wohin?
Sie presste sich in eine Nische, als sie Schritte hörte. Ein Schlüsselbund klimperte, und eine Tür ganz in ihrer Nähe wurde geöffnet. Gleich darauf hörte sie ein Klatschen, dann einen Aufschrei. Noch ein Klatschen. Magalie schlich sich näher. In der Kammer standen Siberia und eine junge Hexe, die sich die Wange rieb. Siberia drehte sich plötzlich zur Tür und sah Magalie direkt an. Fast konnte man glauben, dass die Hexe sie sah. Aber das konnte sie nicht. Die Fürstin blieb unsichtbar.
Dennoch, es war möglich, dass die schwarzmagische Hexe ihre Anwesenheit spürte. Magalie zog sich zurück, blieb aber in Hörweite.
Offenbar hatte man Oskar nicht von Lotte trennen können und die beiden hier zusammen eingesperrt. Sie verstand, dass Siberia die Hexe geschlagen hatte, weil sie ihr die Schuld an ihrem Verschwinden gab. Und noch etwas wurde ganz klar: Auch Siberia wusste nicht, wo ihre beiden Gefangenen waren.
Aber wie war Oskar diesem verschlossenen Raum entschlüpft? Er musste Hilfe gehabt haben. Von wem?
Siberias Worten entnahm sie, dass die Entführung allein auf ihr Konto ging. Leathan wusste nichts davon.
Sie zog sich noch weiter in den Schatten zurück, als sie Richard kommen sah.
Wenn er wütend war, was selten vorkam, ähnelte er in verblüffender Weise seinem Vater. Sein sonst so sanfter Ausdruck wandelte sich.
Er stürmte an ihr vorbei in den Raum. Die Tür schlug gegen die Wand.
»Wo ist mein Kind?«
Richard hielt Siberia an beiden Armen gepackt und schüttelte sie.
Sie öffnete die Lippen, aber kein Wort kam aus ihrem Mund. Sie starrte den jungen Mann an, als sähe sie ihn zum ersten Mal.
Magalie wusste von Richards hypnotischer Fähigkeit, sein Gegenüber etwas sehen zu lassen, was nicht wirklich da war. Sie fragte sich, was Siberia in diesem Moment in Richard erblickte. Sie würde es vermutlich nie erfahren. Richard ließ die Hexe so abrupt los, dass sie fast stürzte.
Siberia wusste nichts, wortlos schüttelte sie den Kopf.
Magalie hatte genug gehört, sie wandte sich zum Gehen. Aber wieder wurde ihr der Rückweg versperrt, fast wäre sie mit Maia zusammengestoßen. Mit wehenden Gewändern schritt Leathans Mutter knapp an ihr vorbei. Einen Moment schien es, als ob sie anhalten wollte. Mit einem kaum wahrnehmbaren Lächeln neigte sie den Kopf in Magalies Richtung, aber sie ging weiter. Auch Maia besaß diesen Instinkt, dachte die Fürstin. Sie sah, ohne zu sehen, sie ahnte sogar, wer dort stand. Wie so oft, fragte sie sich, wie Maia zu einem so abgrundtief bösen Sohn wie Leathan kommen konnte.
Maia selbst war die Tochter des Herrschers, der vor Leathan über die dunkle Welt regiert hatte. Ein Elf, der auch nicht gerade unschuldig gewesen war, aber gegen seinen Enkel als Lämmchen durchgehen konnte. Sie wandte ihre Aufmerksamkeit wieder Richard, Siberia und Maia zu.
»Was ist dir denn eingefallen? Einen Säugling zu entführen ist selbst für dich …«
Magalie hatte Maia noch nie so wütend gesehen. Die Wände des Raumes nahmen eine lodernd orangefarbene Tönung an, als ob sie in Flammen stünden. Seltene Farbe in der Dunkelwelt, dachte Magalie.
Siberias von Farben verhexter Blick. Sie rührte sich nicht mehr. Bewegungslos bliebe sie, bis Maia geneigt wäre, ihre Fesseln zu lösen.
Magalie wusste, dass Maia Farben von Eliana bekam. Eliana. Leanders Weib war die Hüterin einer großen Farb-Bibliothek. Sie konnte Farben extrahieren, aus dem Sommerwind, den Flügeln eines Schmetterlings, dem Sturm, Gewitter und aus Gefühlen, wie dem Lachen ihrer Kinder, der Liebe ihres Mannes und der Lust. Die Farben waren stark, sie konnten töten, heilen und fesseln, richtig angewandt, sogar bunte Seile spannen, über die man gehen konnte wie über eine regenbogenfarbene Brücke.
In endlosen Reihen standen Kristallgefäße mit glühenden, matten und pudrigen Tönen in Elianas Bibliothek.
Leander, ihr Mann, besaß zusammen mit Magalie das Zeichen der Macht, das zweiteilige Medaillon. Alle paar Jahre wurde neu gewählt, wer das Medaillon tragen durfte, und immer mussten es zwei Fürsten sein, nie durfte einer allein herrschen. Magalie fragte sich, ob sie sich wieder zur Wahl stellen sollte.
Der ständige Kampf mit Leathan war ermüdend gewesen. Nun, da er zurück war, würde dieser Kampf wieder beginnen. Regeln, so glaubte er, galten nicht für ihn.
Sie hatte es so satt.
Lächerlich, es war einfach lächerlich, dass sie sich wie eine Diebin im Schutz ihrer Unsichtbarkeit hier herumtrieb. Sie gestand sich ein, dass sie, obwohl sie die mächtigste Fürstin der gesamten Anderswelt war, Leathan fürchtete. Er war zu allem fähig. Dieser dunkle Elf wollte sie besitzen, sie sich unterwerfen, und er schreckte vor nichts zurück. Sie vermied es, wenn sie konnte, ihm zu begegnen.
Die Idee, ihre Enkelin zu entführen, hätte von ihm sein können. Aber in diesem Fall war er unschuldig, wobei das Wort unschuldig in Bezug auf diesen Fürsten keine Bedeutung hatte. Er hatte vor Jahren Robert entführt und versucht, ihre Tochter in seine Gewalt zu bekommen, warum nicht auch die Enkelkinder? Entführungen gehörten bei ihm zum Tagesgeschäft.
Inzwischen stand sie im fast leeren Stall. Nichts, kein Oskar, keine Lotte. Die meisten Boxen waren verwaist, in einigen standen die von Leathan bevorzugten Rappen. Glänzend schwarz, seine Lieblingsfarbe. Die Elfen waren noch immer auf der Jagd nach dem weißen Hirsch.
Sie lächelte. Elsabe war schnell, der Dunkelalb würde sie niemals kriegen. Ihrer Freundin machte es Vergnügen, den dunklen Fürsten an der Nase herumzuführen.
Sie selber wäre lieber in der Lichten Welt geblieben.
Ein kühler Hauch kroch die Stallgasse entlang, Magalie fror. Irgendetwas war da draußen. Leathan war ganz in der Nähe, das spürte sie.
Sie atmete aus, als sie das Pony sah. Ein kleines Mädchen nur. Hatte sie sich so täuschen können?
Aber dann hörte sie das Zischen, und die Kälte war ganz nah. Leathan erschien in seiner grauen Wolke. Da war er, ein kräftiger, gut aussehender Elf. Die Ähnlichkeit mit seiner Zwillingsschwester war nicht zu übersehen. Die männliche Ausgabe der schönen Annabelle.
Die Kleine schrumpfte unter seinem violetten Blick. Sie saß noch immer abwartend auf dem weißen Pony. Leathan schien irritiert. Bemerkte auch er die Anwesenheit einer Fremden?
Sie spürte eine samtige Nase in ihrem Nacken. Wenn der Dunkelalb aufmerksamer wäre, könnte er sogar herausfinden, wo sie stand. Die Liebkosungen und das Interesse des Hengstes hinter ihr verrieten sie. Aber Leathan war nicht aufmerksam. Er hatte das Mädchen im Blick. Und dieser Blick war misstrauisch und unfreundlich.
»Was hast du hier zu suchen? Wo kommst du her?«
Es kam eine lange ausführliche Beschreibung von einem Ritt durch den Wald. Die Kleine beschrieb die Kälte und begann jeden einzelnen Baum aufzuzählen, den sie passiert hatte. Auch von Treibern, die sie getroffen haben wollte, war die Rede.
»Sie haben ein Feuer gemacht …«, sagte sie und zuckte zurück, als Leathan sie anfuhr: »Halt den Mund, du bist ja noch dümmer als deine Mutter.«
Magalie beobachtete die Kleine fasziniert. Sie war keineswegs dumm, sie versuchte mit ihrem Geplapper ihren Geist vor Leathan zu verschließen. Eine ausgezeichnete Methode, ihre wirklichen Gedanken zu verbergen. Sie blieb, so weit es ging, bei der Wahrheit, aber gleichzeitig vertuschte sie etwas.
Vermutlich das Wichtigste, dachte Magalie. Etwas, was sie auf keinen Fall preisgeben will.
Sie fragte sich, wer dieses Kind war. Schon jetzt eine kleine Schönheit. Sie erinnerte sie an eine der Feen aus Leathans Entourage, Aglaia. Schwarzes Haar, weiße Haut, aber die Augen. Die Augen waren alt wie die Zeit. Zu alt für ein Kind. Der kalte violette Blick glich dem des Dunkelalben. Leathans Tochter? Dem Alter nach könnte das stimmen. Sie war höchstens acht Jahre alt. Gezeugt, dachte sie, bevor ich ihn auf die Kathedrale verbannt habe.
Armida führte ihr Pony in eine der hinteren Boxen.
»Besser gar keinen Vater, als diesen«, grummelte sie, nachdem Leathan gegangen war.
Armida erschrak als Magalie plötzlich vor ihr stand. Eine schlanke Fee mit hellem Teint und rotem üppigen Haar, das in dieser tristen Umgebung unziemlich leuchtete. Sie hatte sie noch nie gesehen und war sicher, dass sie nicht zum Hof ihres Vaters gehörte. Was wollte sie von ihr?
Magalie beantwortete die Frage des Kindes, ohne dass sie gestellt worden wäre.
»Ich bin Magalie, ich lebe in der Lichten Welt. Sag mir, wo Lotte und Oskar sind.«
Armidas kleiner Körper versteifte sich. Sie füllte einen Eimer mit Wasser und gab Heu in eine Traufe. Nachdem sie die Tür der Box sorgfältig geschlossen hatte, sah sie Magalie direkt ins Gesicht.
Sollte sie lügen? Sie könnte behaupten, den Glitter nie gesehen zu haben.
Magalie verstand den Zwiespalt, in dem sich das Mädchen befand. Sie war eine Fremde, und Armida fragte sich, warum sie ihr vertrauen sollte.
Anders als Leathan konnte die Fürstin in dem Mädchen lesen.
»Ich weiß, dass du Oskar zur Flucht verholfen hast. Hat er dir gesagt, wo er mit meiner Enkelin hinwollte?«
Magalie übte sich in Geduld. Armida schüttelte den Kopf. Sie dachte an den riesigen Kentauren Pholos, der sie zurückgebracht hatte.
Magalie lächelte. »Wer ist Pholos?«
»Pholos ist das Oberhaupt der Kentauren«, sagte Maia hinter ihr. »Ich kenne ihn gut.« Zu Armida sagte sie: »Du kannst Magalie vertrauen. Geh jetzt.«
»Du hast mich gefunden.«
»Ja.« Maia lachte. »Mir machst du nichts vor, Magalie. Die Jäger kommen zurück, wir sollten hier verschwinden.«