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Von Pissoúri nach Kakopetriá

6. November – 9. November 1989

Wir verlassen unser Pissoúri heute keine einzige Minute, sondern gönnen uns einen kompletten Strandtag. Dazu musste uns der Baum des Müßiggangs, so wird ein gewaltiger Gummibaum in der Ortsmitte genannt, nicht erst inspirieren. Mit den gestern geernteten Südfrüchten, Mineralwasser, das weder salzig schmeckt noch kloakig riecht, und Cyprus Coffee medium aus dem Restaurant kommen wir gut über den Tag. In das Mineralwasser tröpfeln wir noch zusätzlich Limonensaft. Seeluft und Nichtstun verursachen Hunger. Den stillen wir am Abend mit Full-Meze. Dass es versteckt im Ort eine kleine Taverne gibt, die man als solche von außen kaum identifizieren kann, hören wir in der Nacht. Eine harmlose Verlobungsfeier artet ab Mitternacht in ein Spektakel mit so lauter Discomusik aus, dass die gesamte Bucht beschallt wird. Ab 4 Uhr legt sich der Lärm etwas.

Halbwegs frisch ausgeruht fahren wir am Morgen danach die Küstenstraße weiter gen Westen, vorbei an den Aphrodite-Felsen - an dieser Stelle soll Aphrodite in einer Muschel an die Küste gespült worden sein - nach Páfos. Schon von weitem sieht man, wie überall auf der Insel, auf den Dächern die Wasserbehälter, deren aufgefangenes Regenwasser von kleinen Solaranlagen für die Warmwasserversorgung aufgeheizt wird. Die Stadt macht einen hektischen, chaotischen Eindruck auf uns. Obwohl wir noch halb taub von der Verlobungsfeier sind, stören uns der Motorlärm und das ständige Gehupe, vor allem die wild umherkurvenden Motorräder und Mopeds. In der Einkaufsstraße sticht uns der Name eines Ladens ins Auge: Hitler Jewellery. Das gibt uns den Rest. Bei Hitler kaufen wir garantiert nicht unseren Schmuck!

Auf dem Weg ins Tródos-Gebirge halten wir zweimal an. Zuerst in Èmpa an einer kleinen orthodoxen Kirche aus dem 12. Jahrhundert. Bevor der freundliche, greise Pope uns mit einer Privatführung beglückt, zeigt er uns stolz einige Fotos von sich aus seiner langen Vergangenheit. Danach stellt er sich in Pose und fordert uns auf, Fotos von uns mit ihm als Blickfang an seinem Arbeitsplatz Kirche zu schießen. Das nimmt einige Zeit in Anspruch, bis alle möglichen Personenkonstellationen im Kasten sind. Der Pope genießt es. In einem kleinen Kästchen in der Nähe des Ausgangs liegen Geldscheine und einige wenige Münzen. Wenn man so herzlich verabschiedet wird, kann man dem Aufforderungscharakter dieses Kästchens kaum widerstehen.

Als wir hoch in den Bergen das Kloster Ágios Neófytos erreichen, wissen wir sofort, warum die Mönche genau diese Stelle für ihre Einsiedelei gewählt haben: wegen der sagenhaften Aussicht auf das Meer, die Berge und Zypressen. Da kein freundlicher Mönch Anstalten macht, uns eine persönliche Führung durch die Anlage angedeihen zu lassen, wandern wir ein wenig in dieser schönen Umgebung und genießen die Ruhe, etwas, was wir in der letzten Nacht in Pissoúri schmerzlich vermisst haben.

Das dritte Kloster suchen wir schon deshalb nicht auf, weil es einen ähnlich unaussprechlichen Namen hat wie das russische Wort Chudoschestwjennij salon, das ich mir eigentlich nicht merken wollte: Panagía Chrysorrogiátissa.

Die Zeit drängt, bald schon geht die Sonne unter, wir müssen weiter. Um 16:40 Uhr steigen wir am Aphroditefelsen aus, um unten am Strand den Sonnenuntergang zu sehen. Wir sind nicht die einzigen Touristen, die den gleichen Gedanken gehabt haben. Eine vierköpfige Familie, der wir irgendwo schon mal begegnet sind, kommt auf uns zu. Es sind Deckers. Bruni arbeitet als Ortskraft an unserer Schule, mit den Töchtern ist Annika befreundet, und Horst, der ausgezeichnet Russisch spricht, ist bei einer Joint-Venture-Firma beschäftigt. Bruni erzählt, dass auch Gisela (aus Kiel) in Zypern sei. Hellmuth und Roswitha auch. Wer aus dem Kollegium fehlt noch? Wahrscheinlich hatten sie alle ursprünglich ganz andere Pläne. Ich denke insgeheim, dass letztlich alle auf diese Insel verschlagen wurden, weil sie zwar schon eine Zusage für Hinflug und Hotelzimmer, jedoch nicht für einen Rückflug aus Batumi hatten. Wenn wir am Abend im Strandrestaurant auch noch unseren Schulleiter beim Verspeisen einer Meze antreffen sollten, plädiere ich für eine vorgezogene Dienstversammlung im Schatten des Felsens der Aphrodite, mit Othello.

Die nächste Nacht in Pissoúri war so lauschig und ruhig, wie sie sonst nur Mönche in einer Einsiedelei erleben. Und so schlendern wir am Tag darauf entspannt mit frisch getauschtem Geld durch Limassol, vorbei an zahlreichen türkischen Läden. Wir tanken Kraft für den Nachmittag, der für Kultur pur vorgesehen ist. Wir besichtigen die weitläufige antike Ausgrabungsstätte von Koúrion.

Da das Tródos-Gebirge bei uns einen so nachhaltigen Eindruck hinterlassen hat, fahren wir am Tag darauf noch einmal dorthin. Die Aussicht ist diesmal trübe. Ein Unwetter baut sich auf. Es wird immer dunkler, bis endlich ein Gewitterregen niederprasselt, vermischt mit Hagel. Es wird richtig kühl und zugig auf der Pritsche des Suzukis, und auch feucht, weil wir die Plane bei dem plötzlich einsetzenden Wind nicht sofort in den Griff bekommen. An eine Wanderung ist nicht zu denken. Deshalb besuchen wir das Bergdorf Kakopetriá - wieder so ein Name. Die Regenklamotten liegen zu Hause in unserer trockenen Wohnung. Endlich beruhigt sich die Lage. Erik und Gisela steigen gut gelaunt aus ihrer beheizten und trockenen Fahrerkabine. Das Erste, was wir hören, ist das Rauschen der Bergbäche, die nach dem Wolkenbruch die zahlreichen Wassermühlen im Dorf zu Höchstleistungen zwingen. Wie entfesselt drehen sich die Mühlräder. Wir schauen uns noch diverse Handwerksläden an, in denen man natürlich Souvenirs erwerben kann, auch selbstgestrickte Jacken und Pullover aus Schafwolle. Aber inzwischen ist uns wieder so warm geworden, dass wir sogar auf eine unverbindliche Anprobe verzichten. Eric und Gisela haben an warmer Kleidung kein Interesse.

Entlang des Grenzzauns zum türkisch besetzten Teil der Insel fahren wir anschließend nach Nikosía, vorbei an mehreren Camps der UN-Friedenstruppe. Überall patrouillieren bewaffnete Soldaten. In Nikosia sind die Gebäude, die auf dem Grenzstreifen stehen, längst von Menschen geräumt und mit Brettern verrammelt, zugemauert oder mit Sandsäcken blockiert. Die wenigen bewachten Grenzdurchlässe dienen den Pendlern, die in der Mehrzahl aus dem Nordteil kommen, um im Südteil zu arbeiten. Natürlich denken wir die ganze Zeit an Berlin. Jetzt kennen wir die beiden einzigen Städte auf der Welt, die geteilt sind.

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