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ОглавлениеTeppichhändler
4. April – 8. April 1990
Als wir über das Dnjepr-Delta und die Krim fliegen, ist für uns klar, dass wir einen zweiten Versuch starten werden, um im November an der Schwarzmeerküste einen ähnlichen Spätsommer zu erleben wie in Zypern.
Mit einem dicken Geldbündel steigen wir in Istanbul ins Taxi. Aber die über eine Million Türkische Lire sind nicht Zeichen einer uns überfallartig überkommenen Luxussucht, sondern einer ganz normalen Inflation geschuldet. Vorbei an Ledergerbereien, die in einem slumähnlichen Stadtviertel liegen, setzt uns der Fahrer kurze Zeit später vor unserem von Dieter reservierten Hotel ab, das gegenüber von einem kleinen Basar liegt - bei hochsommerlichem Wetter.
Als Erstes buchen wir unsere Fähre nach Izmir, von wo aus wir mit einem Leihwagen unsere Rundreise starten wollen. Wir handeln den Preis für die Fähre herunter, so wie Dieter es uns geraten hatte. Von uns aus wären wir nicht auf die Idee gekommen, dass es da Spielräume gibt und die ausgehängten Preistarife als eine Art Verhandlungsbasis gelten.
Auf dem Weg ins Stadtzentrum zeigt Ingmar auf einen angeketteten Braunbären, der aufrecht auf seinen Hinterbeinen steht. Als wir näher kommen, sehen wir, dass der Bär gezwungen ist, diese Haltung beizubehalten, solange es sein Peiniger fordert. Ein langer, kräftiger Holzstab, der am oberen Ende mit einem breiten Gummipuffer versehen ist, sorgt dafür, dass der Bär nicht auf alle Viere gelangen kann, da der Stock ihn wie eine Stütze daran hindert. Das Ende mit dem Gummi ist dem armen Tier an die Schnauze gedrückt worden. Die Eisenkette um seinen Hals hat Verbindung mit dem Hosengürtel des Tierquälers. Annika und Ingmar sind voller Mitleid. Für sie ist es unfassbar, wie man so etwas einer Kreatur antun kann. Wir sind wütend. Den Mann kümmert dies nicht. Feingefühl ist nicht seine Sache. Es geht um das Geschäft. Er fordert die Kinder auf, sich neben dem Tier für ein Foto zu positionieren. Wir zeigen ihm deutlich unsere Empörung. Einige Passanten denken und fühlen ähnlich wie wir, regen sich auf, diskutieren mit ihm. Währenddessen schieße ich einige Fotos. Der Mann reagiert aufbrausend und fordert 50 000 Lire von mir, das sind etwas mehr als 30 Mark, für die angeblich illegal gemachten Bilder. Zuerst weigere ich mich, doch als sich seine Aggressionen steigern, werfe ich einen Bruchteil der geforderten Summe in eine bereit stehende Holzkiste. Man weiß ja nicht, ob er den Bären auf mich hetzt, wenn ich nichts zahle. Trotzdem ärgere ich mich im Nachhinein darüber, dass ich ihm Geld gegeben habe. Die Kinder sind noch immer ziemlich aufgewühlt, als die ersten Sehenswürdigkeiten der Stadt auftauchen. Nicht einmal die zahlreichen freundlichen Straßenhändler, die immer wieder um uns herumtänzeln, um uns Souvenirs zu Sonderpreisen anzubieten oder uns in Teppichläden zu locken, können sie von diesem Ereignis vollends ablenken.
Über eine Stunde lang kühlen wir uns in doppeltem Sinne in der Hagia Sophia ab, staunen über das geschäftige Gewusel in der Altstadt, den Singsang der Gebetsaufrufe aus den Lautsprechern der Minarette und sehen uns kurz darauf die Waschrituale der Gläubigen vor der Blauen Moschee an.
Wir lassen uns bis zum Abend ziellos treiben und suchen verschwitzt und beinmüde ein Restaurant auf. Nach der kargen Mahlzeit, die Aeroflot uns vor etlichen Stunden im Flugzeug verabreicht hatte, ein lauwarmes, ideenlos zubereitetes Hühnchen, stürzen wir uns auf die appetitlich aussehenden Fleischteller mit Reis, knackigem Gemüse und Joghurtsoße.
Es ist schon deutlich nach Mitternacht, als wir im Hotelzimmer das Licht ausschalten. Mitten in der Nacht taumele ich ins Bad, um den Wasserhahn und die Toilettenspülung, die ohne unser Zutun beide in Betrieb geraten sind, zu bändigen. Das Rauschen kam also doch nicht von der Brandung am Mittelmeer, wie mir mein Traum vorgaukelte. Den Schwimmer im Spülkasten auszurichten, macht um diese Zeit überhaupt keinen Spaß. Eigentlich auch sonst nicht. Kaum bin ich nach getaner Arbeit im Bett, hört man schon wieder ein Rauschen, das vom Lüftungsschacht herrührt und an auf- und abflauende Sturmböen erinnert. Straßengeräusche sind nicht zu hören.
Am Frühstücksbüfett kann ich den schwarzen Oliven und dem Schafskäse nicht widerstehen. Wir verschaffen uns eine solide Grundlage und machen uns, wie gestern, zu Fuß auf in die Altstadt. Dem Bärenschinder begegnen wir zum Glück nicht ein weiteres Mal. Wir sind heute deutlich entspannter und reagieren auf die Straßenhändler gelassener. Man hat den Eindruck, mindestens jeder zweite Türke hat schon mal in Deutschland gearbeitet. So umschmeicheln uns die Händler permanent auf Deutsch und wollen uns ständig zum Tee einladen. Und was für süße Kinder wir doch hätten. Alle bleiben freundlich - wir auch - obwohl sie unverrichteter Dinge wieder abziehen müssen. Besonders starke Nerven brauchen wir, als wir ohne Kaufverlangen über den Großen Basar und später den Ägyptischen Basar bummeln, erst recht dann, wenn die Händler uns verlockende Kräuter, Süßigkeiten, Antiquitäten, Lederjacken, Ledertaschen, Ledergürtel, Lederportmonees, Lederhüte, Lederhals- und -armbänder, Lederschmuck, und was es sonst noch so aus Leder gibt, unter die Nase reiben und dabei unentwegt auf uns einreden. Dabei scheint heute ein besonders günstiger Einkaufstag zu sein. Für ausnahmslos sämtliche Produkte wird extra für uns ein special price gemacht.
Wir besichtigen Moscheen, darunter die prachtvolle Süleymaniye-Moschee aus dem 17. Jahrhundert, spazieren durch die Parkanlage des Topkapi-Palastes und von dort Richtung Fährhafen am Goldenen Horn, von wo aus wir morgen Abend nach Izmir aufbrechen werden.
Am Nachmittag nehmen wir ein Taxi. Es soll uns in den Vorort Yeniköy kutschieren, der ziemlich weit außerhalb am westlichen Ufer des Bosporus liegt, also noch in Europa. In Yeniköy wohnt Dieter mit Mary und seinen beiden Kindern Charlotte und Peter in einem Reihenhaus mit Bosporusblick. Noch näher am Wasser liegt ein Villenviertel der Reichen, abgeschirmt und bewacht wie ein Militärkomplex. Während die Kinder im Garten Fußball spielen, führt Dieter uns durch diesen ruhigen Ort. Mary, die in einem Kochklub aktiv ist, erwartet uns mit einem türkischen Mahl. Es bleibt nicht aus, dass wir uns ausführlich über die Zukunft Deutschlands und unsere Erfahrungen im Auslandsschuldienst unterhalten. So viel wie heute Abend haben wir während unserer achtjährigen gemeinsamen Dienstzeit in Bad Oldesloe nicht miteinander geredet. Dieter zeigt uns die Reiseroute, die er netterweise für uns ausgearbeitet hat.
Am nächsten Vormittag treffen wir vor der Blauen Moschee einen alten Bekannten wieder, der uns gestern in einem Teehaus freundlich angesprochen hatte, ob wir nicht einmal ganz unverbindlich einen Blick in das Teppichgeschäft seine Onkels werfen wollten. Ob wir heute nicht Lust hätten, einen Apfeltee mit ihm zu trinken; er würde uns gern seinen Onkel vorstellen. Wir können uns gut vorstellen, dass der Onkel nach dem Small-Talk beim Tee auch noch anderes im Sinn hat. Das wollen wir jetzt testen. Kaum haben wir es uns in den Sesseln auf der Dachterrasse gemütlich gemacht, um den tollen Blick von hier oben auf den Basar vor der Blauen Moschee und auf die Hagia Sophia zu genießen, da erscheint auch schon ein junger Angestellter mit einem silbernen Tablett und serviert uns den versprochenen Apfeltee in den typischen türkischen Teegläsern, die aussehen, als hätten sie eine Wespentaille. Die Lage in Deutschland wird gestreift. Der freundliche Neffe berichtet stichwortartig von seinen persönlichen positiven Erlebnissen in Deutschland. Und schon sind wir beim Thema Teppiche. Er wolle uns in keinster Weise drängen, aber falls wir uns über die Herstellung und Verarbeitung von Teppichen interessierten, da gebe es ja die Gerüchte über Kinderarbeit und so weiter, dann sollten wir doch einen kurzen Blick in den Verkaufsraum werfen. Eventuell gebe es ein kleines Zeitfenster, wo sein Onkel uns gerne über alles aufklären würde. Der Onkel erwartet uns schon im Laden, im Hintergrund warten zwei Angestellte auf ihren Einsatz. Ob wir noch einen Apfeltee wollten, fragt er uns nach einer freundlichen Begrüßung. Höflich lehnen wir ab. Lieber würde ich eine Toilette aufsuchen, bevor mir von dem vielen Teetrinken auf der Terrasse die Blase platzt.
Der Onkel hält einen Vortrag über Teppichmuster, Teppichverarbeitung, Teppichknoten, Natur- und Pflanzenfarben. Damit wir alles besser nachvollziehen können, bewegt er sich kontinuierlich auf einen Stapel Teppiche zu. Aus dem Hintergrund eilen die beiden Helfer herbei und bauen sich so vor dem Stapel auf, dass sie die Teppiche Stück für Stück wie ein überdimensionales Buch aufblättern können, sobald sie vom Chef ein dezentes Handzeichen bekommen.
„Die Arbeitszeit für ein so Exemplar beträgt im Durchschnitt sechs Monate“, sagt er und streicht mit seiner Hand beinahe liebevoll über den oben liegenden Teppich. Er spürt, dass uns einige der Muster gefallen. „Von Kinderarbeit ist mir nichts bekannt. Kann sein, dass es im Iran oder in Indien so etwas gibt.“ Erst jetzt fällt mir auf, wie gut der Mann deutsch spricht. „Wir haben selbstverständlich Verhandlungsspielräume. Übrigens liefern wir unsere Ware nach ganz Westeuropa, bis vor die Haustür. Viele unserer Kunden entscheiden sich auch für Ratenzahlungen.“
Die Atmosphäre bleibt freundlich. Wir könnten jederzeit wiederkommen, heißt es beim Abschied.
Während wir im Schnell-Imbiss auf eine türkische Pizza warten, rennen wir der Reihe nach aufs Klo. Danach geht es fast im Dauerlauf zurück zum Hotel, damit wir rechtzeitig den Anlieger erreichen. Als der Taxifahrer uns das Gepäck aushändigt, reißt mir ein Kofferträger meinen Koffer aus der Hand und schleift ihn die knapp dreißig Meter bis an die Gangway des Schiffs. Für diese anstrengende Arbeit verlangt er 10 000 Lire - das sind horrende sieben D-Mark - und zeigt dabei ungeduldig auf den entsprechenden Geldschein, als ich meine Geldbörse geöffnet habe. Ich biete diesem unverschämten Halsabschneider in der aufkommenden Hektik 2000 Lire an. Prompt beginnt er zu lamentieren, er habe Frau und Kinder, und auch er müsse leben. Dieses Schicksal teilt mit ihm der allergrößte Teil der türkischen Bevölkerung. Nur wenige Einheimische heimsen einen derart hohen Stundenlohn ein wie er. Mit den Einnahmen könnte er sich und seiner Familie in naher Zukunft ein Reihenhaus in Yeniköy leisten, falls sich alle seine Kunden so ausbeuten ließen.
Um 15 Uhr fährt das Schiff der Turkish Maritime Lines nach Izmir ab. Die Fahrt geht vom Goldenen Horn über den Bosporus in Richtung Dardanellen. Es ist diesig. Smog liegt über der Stadt.
Eine französische Reisegruppe hat das komplette Bordrestaurant belegt. Zwangsläufig nehmen wir mit der Cafeteria vorlieb, die von zwei Fernsehgeräten mit zwei verschieden Programmen beschallt wird. Am nächsten Tag treffen wir an Deck ein weitgereistes, älteres australisches Ehepaar. Sie kramen Fotos hervor und berichten von ihren Erlebnissen in Zaire und Moskau, vom dortigen Nepp, dem sie sich ständig ausgesetzt fühlten. Sie wollen demnächst ihre Tochter, die in England lebt, besuchen und ihre Freunde in Honigsee bei Kiel. Annika und Ingmar lassen derweil Flaschenposten zu Wasser.
Als unsere französischen Freunde abends im Restaurant erscheinen, sitzen wir schon da und studieren die Speisekarte. Ein triumphaler Blick in die Runde verbietet sich von selbst. Mal sehen, welche vier Personen sich heute mit der Cafeteria begnügen müssen. Dafür können die Vier gleichzeitig zwei türkische TV-Programme gucken.
Pünktlich um 9 Uhr legt das Schiff am nächsten Morgen im Hafen von Izmir an. Geschäftstüchtig macht sich, kaum dass wir wieder festen Boden unter den Füßen haben, der Vermittler eines Autoverleihs an uns heran. Mit einem in die Jahre gekommenen Ford Consul bringt er uns zum Büro, neben dessen Eingangstür ein großes orangefarbenes Z zu sehen ist. Es steht für ZAFER - Rent a car. Ein Tablett mit Apfeltee steht schon bereit. Der Tee kostet nichts, der Şahin, den wir mieten, für dreizehn Tage 1 755 000 Lire.
Die Türkei-Rundtour, die Dieter vorbereitet hat, kann beginnen. Eine Liste mit Quartieren, mit denen er gute Erfahrungen gemacht hat, liegt in unserem Reiseführer. Wegen der vielen berühmten antiken Stätten wollen wir von Izmir aus die Westküste bis Fethiye fahren, dann entlang der Südküste bis Antalya. Der Rückweg soll durch das Binnenland führen, über das Taurus-Gebirge zu den Thermalquellen nach Pamukkale, von dort Richtung Norden bis Istanbul. Dafür haben wir noch 13 Tage vor uns.
Die erste Etappe führt nach Selçuk. Von diesem eher unscheinbaren Ort gelangen wir nach wenigen Kilometern über eine Serpentinenstraße nach Ephesos. In dieser weiträumigen antiken Anlage verbringen wir einige Stunden. Die Kinder klettern über die antiken Steinbrocken, entdecken eine Schildkröte und sehen einem Schlangenfänger bei seiner Arbeit zu. Im Theater, das in seiner Blütezeit bis zu 25 000 Besucher aufnehmen konnte, tanzt eine türkische Schulklasse Lambada. Kurz darauf testet ein deutscher Chor die Akustik. Wir sitzen ziemlich weit oben, weil man von hier aus die ganze Ausgrabungsstätte überblicken kann. Die Akustik ist wirklich beeindruckend; selbst leise gesprochene Wörter verstehen wir, obwohl der Höhenunterschied fast dreißig Meter beträgt.
Am Südufer des Bafa-Sees übernachten wir in einer Hütte direkt am Wasser. Die Wasserversorgung wird, wie auf Zypern, durch Sonnenkollektoren geregelt.
Als wir morgens die Tür der Hütte öffnen, sind wir von Kühen umzingelt. Die Kinder spielen mit dem Kuhhirten und dem Sohn des Wirts.
Wir kommen gut voran, die Straßen sind kaum befahren. Ingmar stürzt sich in einer Felsenbucht als einziger einmal kurz in die Fluten des eiskalten Mittelmeers. In den Felsen finden Annika und ich, neben den üblichen Seeigeln, rote schlangenähnliche Wassertiere und Viecher, die aussehen wie eine Kreuzung aus Krebs und Vogelspinne. Je weiter wir nach Süden fahren, desto mehr Bauruinen sehen wir, meist große, in die Berghänge hineingebaute Terrassenanlagen für Touristen, bisweilen von Pflanzen überwuchert. Da haben sich wohl einige Spekulanten verkalkuliert. Schön sieht das nicht aus.
Im ruhigen beschaulichen Bodrum machen wir Station und besichtigen das vorgelagerte Kastell. In der Pâtisserie Palmya gibt es anschließend Kaffee und Kuchen.
Man will ja nicht immer den gleichen Weg zurückfahren, und so bestehe ich darauf, von der Hauptstraße nach Güllük abzufahren, das ist ein winziger Ort am Meer, und von Güllük aus eine kleine Küstenstraße zu nehmen, die uns später über Iasos wieder auf die Hauptroute zurückführt. Die Strecke bis Güllük ist landschaftlich sehr reizvoll und der kleine Fischerort selbst begeistert uns noch mehr. Leider steht Güllük nicht auf Dieters Liste. Von Güllük aus suchen wir den Abzweiger nach Iasos. Wir fahren den holprigen Bergweg mehrmals ab. Der Blick von hier oben auf das Dorf und das durch die tiefstehende Sonne gleißende Mittelmeer ist nach wie vor wunderschön. Wo aber ist dieser verdammte Abzweiger? Jetzt kommt mir meine zweijährige Ausbildung bei der Bundeswehr zugute. Ein Leutnant der Reserve versteht sich bestens aufs Fährtenlesen. Wir fahren die Strecke noch einmal im Schneckentempo ab. Und siehe da, schon entdecke ich auf einem schmalen Pfad schemenhaft Reste von Reifenspuren im Sand. Da haben wir unseren Abzweiger endlich. Wenn es an Ausschilderungen mangelt, auch das habe ich in meiner Ausbildung gelernt, orientiert man sich an den Gestirnen oder, falls vorhanden, an Ameisenhaufen. Mir genügt ein Blick auf den Stand der Sonne. Der Pfad führt nach Norden. Das ist genau unsere Richtung. Ich setze ordnungsgemäß den Blinker und biege ab. Das Schneckentempo behalte ich bei, allerdings unfreiwillig. Leider haben wir wieder mal am falschen Ende gespart. Ein Geländewagen hätte diese Buckelpiste deutlich besser gemeistert, ebenso wie das Wurzelwerk, das sich immer mehr wie ein Spinnennetz über den Weg ausbreitet, als wir ein kleines Gehölz erreichen. Im Geiste spiele ich zwei Notfallszenarien durch. Die harmlose Version wäre, wenn uns ein Fahrzeug entgegenkäme. Dann wüssten wir, dass dieser Weg nicht im Nirgendwo endet. Die ungünstigere Version wäre, dass dieser Weg plötzlich endet, ohne dass es irgendwo einen Wendehammer gibt. Was das bedeuten würde, möchte ich mir nicht ausmalen. Meine Bundeswehrzeit war zu kurz, als dass mir eine elegantere Lösung einfällt, als die gesamte Holperstrecke ein weiteres Mal zu bewältigen, und zwar im Rückwärtsgang. Die Kinder sind so rücksichtsvoll, nicht andauernd zu fragen, wann wir endlich da seien. Heidi hüllt sich bis jetzt noch in eisiges Schweigen. Blindes Vertrauen sieht anders aus. In immer kürzeren Abständen muss ich anhalten, weil größere Äste den Weg versperren.
Die Teamarbeit während der Räumarbeiten sollte eigentlich zur Verbesserung des Klimas beitragen. Zum Glück muss ich nicht noch die Säge meines Schweizer Taschenmessers einsetzen. Noch sind die Äste handlich genug. Als der Wald sich lichtet, ist der Weg zu Ende. Wir stehen auf einer Wiese, von blökenden Schafen umringt. Ein Hirt und eine Hirtin sind ziemlich erstaunt über unser Erscheinen. Sie tun so, als würden sie zum ersten Mal in ihrem Leben ein Auto sehen. Immerhin weisen sie uns den Weg zur nächsten befestigten Straße, und die liegt vor uns. Mein Instinkt hatte mich also nicht getäuscht. Viel zu spät erreichen wir am Abend unsere Hütte am Bafa-See.