Читать книгу Remont - Werner Stolle - Страница 36

Оглавление

Der Durchbruch

26. Februar – 2. März 1990

Herr Ost hat richtig Dampf gemacht beim UPDK. Heute ist es so weit. Die Mauer fällt. Das ist der Durchbruch. Die Handwerker können sich gar nicht mehr einkriegen. Immer wieder vergleichen sie ihr Werk mit dem Mauerfall in Berlin. Noch heute kommt unser Klebeband für die Pappverkleidung zum Einsatz. Kurz vor Feierabend gehen wir rüber und trinken ein Gläschen mit ihnen. Wie peinlich wäre es doch gewesen, wenn sie in der falschen Wohnung den Vorschlaghammer angesetzt hätten. Doch davor haben wir sie gerade noch durch unser entschlossenes Handeln bewahrt.

Herr Ost gibt grünes Licht für den endgültigen Umzug. Zwar fehle auf einem Dokument noch eine letzte Unterschrift, aber wir sollten die Spedition anrufen und unser Restumzugsgut abrufen. Nach dem Telefonat mit Interdean fragen wir uns, wo wir unsere Möbel und alles andere unterbringen sollen, falls es mit dem Übergabetermin zu einer kleinen Verzögerung kommt. So etwas ist nicht hundertprozentig auszuschließen. Wir gehen dieses geringe Restrisiko ein.

Doch es kommt ganz anders. Nur drei Tage später, am zweiten März, gegen Mittag, steht Herr Ost vor unserer Tür und wedelt mit einem Satz Schlüsseln vor unserer Nase herum. „Schlüsselübergabe“, sagt er, nicht ohne Stolz. Der Remont sei beendet. Ein feierlicher Augenblick. Zum Aufschließen der Wohnung verwende ich ganz bewusst einen der Schlüssel, die Herr Ost uns ausgehändigt hat, obwohl ich vermute, er weiß längst, dass wir bereits einen Packbier-Schlüssel besitzen. Bis auf wenige Feinarbeiten ist die Wohnung tatsächlich fertig. In der Küche, die ja aufgelöst wurde und nach dem Durchbruch unser Wohnzimmer vergrößert, fehlt noch der Bodenbelag, im Bad sind etliche Fliesen gesprungen, in der Toilette funktioniert die Lüftung nicht, und die Türen aller Einbauschränke stehen offen. Ein zu kräftiger Farbauftrag ist der Grund dafür. Wenn man sie mit Druck schließen würde, könnte man sie anschließend vermutlich nur unter Einsatz von Spezialwerkzeug aufstemmen. Aber derartige Kleinigkeiten sind schnell behoben. Dennoch verfinstert sich der Blick von Herrn Ost etwas. Viel Lob dagegen gibt es, als wir uns die Fenster ansehen. Das Abdichten der Ritzen mit Klebeband entfällt hier komplett. Denn auch hier wurde mit Farbe nicht gegeizt. Der Trick ist, dass die Maler die Fenster, im Gegensatz zu den Einbauschranktüren, gar nicht erst geöffnet haben, bevor sie mit der Arbeit begonnen habe, sonst stünden die Fenster auch noch offen. Aber die beiden Balkontüren lassen sich, wenn man ordentlich an ihnen reißt und ruckelt, so weit öffnen, dass man sich nach draußen schlängeln kann. Jedenfalls war es sinnvoll, die Pappwand noch vorläufig stehen zu lassen.

Wieder zurück in Wohnung eins, feiern wir die Wohnungsübergabe mit einem gemütlichen Kaffee. Herr Ost ist noch im Dienst.

Wir befreien uns noch an diesem Abend vom dreitürigen Kleiderschrank in unserem Schlafzimmer. Die Interdean-Leute hatten ihn an der Wand neben unserem Bett aufstellen müssen, weil dies der einzig mögliche, aber nicht ideale Standort war. Die Türen ließen sich - bis heute - nur ungefähr bis zur Hälfte öffnen, da das Bett im Weg stand. Es war nie ein Spaß, sich täglich seitlich zwischen Bett und Schrank entlangzuhangeln oder über das ganze Bett zu kriechen, um sich Klamotten aus dem Schrank zu zirkeln. Um zwei Uhr nachts steht der Kleiderschrank an seinem neuen Bestimmungsort. Wir räumen noch schnell um. Die Sachen aus dem Wandschrank des Schlafzimmers wandern nun in den Kleiderschrank, und die Kleidung wechselt in den Einbauschrank. Der hat aber ein geringeres Fassungsvermögen, so dass er hauptsächlich mit der Kleidung bestückt wird, die man häufig braucht.

Ab heute haben wir offiziell eine Wohnung mit sechs Zimmern, vier Balkons, zwei Toiletten, zwei Bädern, jeweils mit Badewanne, und zwei Abhöranlagen. Wenn das kein Luxus ist!

Die Stadt Naltschik kann ich von der Liste streichen. Das ist kein Drama. Mein Kontaktmann teilt mir mit, dass die Hotelpreise ganz plötzlich für Ausländer in die Höhe geschossen seien. Statt des vereinbarten Rubelpauschalpreises soll eine einzige Übernachtung nun 200 D-Mark kosten, auch weil Naltschik ein begehrter Kurort sei. Wucher! Mal sehen, wie sich die Hotelpreise in Tallinn entwickeln.

Schon am gleichen Abend beim Bierchen im Bit-Stübchen der Botschaft rege ich mich aus Prinzip über diese unverschämte Preiserhöhung auf. Ein Geschäftsmann, den ich bisher nur vom Sehen her kannte, bietet mir spontan alternative Ziele an. Er könne für eine so kleine Gruppe, wir sind ja nur neun Personen, auch kurzfristig etwas arrangieren. Zur Auswahl stehen Pskow, das liegt südwestlich von Leningrad, Riga und Kiew, soweit ich das bei den sehr laut aufgedrehten deutschen Karnevalsschlagern verstehe.

Das Flugreisen-Ticket-Hickhack nimmt kein Ende. Unser x-mal umgebuchter, mit Rubeln bezahlter Damaskus-Flug - letzter Stand: Istanbul - soll nun nachträglich mit Devisen bezahlt werden. Die Rubel will man uns zuvor zurückzahlen - immerhin! Ein Umrubeln dieses Fluges auf Lufthansa sei leider nicht mehr möglich, weil Aeroflot inzwischen devisenzahlungsunfähig sei. Wahrscheinlich müssen deshalb Ausländer von nun an Valuta für die Tickets hinblättern. Diese Regelung soll bereits für Inlandsflüge in Kraft getreten sein und demnächst auch für Bahnreisen gelten. Bei den hohen Einkommen der westlichen Diplomaten, Geschäftsleute und Journalisten dürfte das nicht zu allzu großen Problemen führen. Insofern sind die Maßnahmen des Staates nachvollziehbar. Die komplizierte Versorgungslage, die wenig komfortable Wohnsituation, die eingeschränkten Bewegungsfreiheiten im Lande, das Klima, die mangelhafte Trinkwasserqualität, die hohe Umweltverschmutzung und die Versorgungslücken im Gesundheitssystem – all das wird durch deutlich höhere Gehälter kompensiert. Wenn die gut verdienenden Westler seit Jahren Flugtickets zu gleichen Preisen erwerben konnten wie die Einheimischen, stand dies in einem äußerst krassen Missverhältnis zu den Einkommen beider Gruppen. Die Schnäppchenpreise haben viele dazu verführt, einfach spontan Tickets zu kaufen für Flüge an einen möglichst weit entfernten Ort der Erde – oder einfach nur nach Damaskus. Das führte teilweise zu extremen Auswüchsen bei den Botschaftsangestellten. Im Bit-Stübchen schlägt denjenigen blanke Häme entgegen, die sich auf Vorrat massenhaft mit Tickets eingedeckt haben. Da einige von ihnen es nicht lassen konnten, sich damit vor den anderen zu brüsten, spricht sich auch schnell herum, dass eine Person nun vor der Entscheidung steht, was sie mit ihren 80 (achtzig) Flugtickets anfangen soll. Man kann sich gut vorstellen, mit welch einfühlsamen Tipps die Kollegen das arme Opfer trösten. Tatsächlich diskutiert man an einem Tisch ernsthaft darüber, ob Moskau finanziell noch attraktiv genug sei. Sie sollten sich schnellstmöglich um eine Versetzung bemühen.

Remont

Подняться наверх