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Verletzte Finger

13. November –19. November 1989

Die nächsten Tage verlaufen in erster Linie geschäftsmäßig. Das UPDK teilt uns mit, dass unser Russisch-Unterricht beginnen könne. Wir hatten vor einigen Wochen einen Antrag gestellt. Einmal die Woche sollte eine Lehrerin (Lehrer gibt es für diese Tätigkeit nicht) zu uns nach Hause kommen und Heidi und mir jeweils zwei Stunden Unterricht geben. Wir sind gespannt.

Heidi nimmt an einer weiteren Veranstaltung des IWC teil. Diesmal hat die Frau des malaiischen Botschafters zu einem malaiischen Vormittag herzlich eingeladen, und auf unserer Botschaftsdatscha findet am Martinstag ein Laternenumzug statt.

Da unser Fernseher noch darauf wartet, von Sergej angeschlossen zu werden, schalten wir immer häufiger unseren Weltempfänger ein, um Meldungen über die aktuelle Lage in Deutschland zu erhaschen. Das macht wirklich keine Freude. Spätestens hier in Moskau wird klar, was Kurze Welle bedeutet. Ein Sender, den man hören will, ist immer nur für einen kurzen Augenblick relativ klar zu empfangen, bis er von anderen Sendern, die man nicht hören will, oder von sphärischen Klängen überlagert wird. Innerhalb dieses kurzen Zeitabschnitts erreicht uns wegen der Lautstärkeschwankungen nur jedes zweite Wort einer Nachricht. Wir sehen dieses Gerät ganz schnell in einer LAGER-Kiste für den baldigen Rücktransport verschwinden.

Umso mehr sehnen wir den Posttag herbei, der uns unser Spiegel-Magazin bringt. Die Ausgabe hat satte 322 Seiten; davon 50 Seiten zum Thema Maueröffnung, die vorläufig unser Wissensdefizit ausgleichen. Wenig später rufen wir unsere Freunde und Verwandten in Deutschland an, um aus erster Hand Details zu diesem irrealen Ereignis zu hören. Die Telefonate dauern über eine Stunde - macht für Ausländer zusammen ca. 250 Rbl, ein russisches Durchschnittsgehalt. Das ist es uns allemal wert.

An einem Tag verletzen sich in meinem Sportunterricht in der angloamerikanischen Schule gleich zwei Schülerinnen aus derselben Klasse fast zeitgleich am gleichen Finger der linken Hand. Die Mädchen selbst finden das nicht so lustig. Zum Glück sprechen beide gut Russisch. Ich versorge die Finger provisorisch und hole mir Rat im Sekretariat, welcher Arzt denn für die richtige Behandlung in Frage komme. Privatpraxen gibt es ja offiziell nicht. Ich solle die Philatow-Klinik aufsuchen, mit der habe man gute Erfahrungen gemacht. Bei Schneegestöber brechen wir auf. Unten an der Rezeption leitet man uns weiter auf die Station. Die Flure sind voller Menschen, es ist heiß und stickig, es riecht nach Schweiß und Knoblauch. Die Patienten ertragen ihr Los mit stoischer Gelassenheit. Uns bleibt nichts anderes, als zu warten. Die wenigen Stühle sind besetzt. Manchmal huscht ein verstohlenes Lächeln über die Gesichter der Wartenden, wenn ihr Blick meine Mädchen streift, die beide ihren Arm mit dem umwickelten verletzten Finger in die Höhe recken. Eine freundliche weißgekleidete Dame fragt nach unserem Anliegen. Die Mädchen deuten gleichzeitig auf ihren Finger und schildern, wie sie zu dieser Doppelverletzung gekommen sind. „Damit müssen Sie in die Polyklinik“, sagt die Weißgekleidete. In der längst nicht so überfüllten Polyklinik dauert es einige Zeit, bis die Personalien aufgenommen sind. Die Mädchen finden es jetzt doch ganz lustig, wie die Wartenden ihnen auf die Finger schauen. Es ist längst dunkel, als die beiden, fachmännisch verarztet, aus dem Behandlungszimmer kommen. Die Aktion hat uns den ganzen Nachmittag gekostet.

Alle paar Wochen haben die Botschaftsangehörigen die Möglichkeit, bei Bedarf in die Sprechstunde von Doktor Friedrichs zu gehen. Er reist in unregelmäßigen Abständen mit einem umfangreichen Sanitätskoffer für drei, vier Tage nach Moskau, vor allem um Medikamente zu verabreichen, Impfungen und natürlich notwendige Untersuchungen durchzuführen. Dafür gibt es im Botschaftsgebäude eine Arztpraxis. Doktor Friedrichs berät und entscheidet mit, wann eine Patientin oder ein Patient nach Deutschland fliegen sollte, weil in der Sowjetunion eine erfolgreiche Weiterbehandlung nicht garantiert werden kann. Oft mangelt es in den Krankenhäusern an wichtigen Medikamenten. Auch die Betreuung ist nicht optimal. Die Einheimischen organisieren sich Arzneimittel auf dem Schwarzmarkt, wo es für teures Geld alles gibt. Angehörige und Freunde übernehmen zum Teil die Rundum-Betreuung der Kranken und versorgen diese mit vernünftiger Verpflegung.

Zeitversetzt kommt der Zahnarzt Doktor Amerling aus Deutschland angeflogen. Er praktiziert, auch jeweils für einige Tage, sowohl in der britischen als auch in der deutschen Botschaft. Doktor Friedrichs hat übrigens einen prominenten Bruder, den wir alle kennen. Es ist Hanns Joachim Friedrichs, der Moderator der ARD-Tagesthemen.

Es hat ordentlich geschneit. Die Kinder fahren hinter dem Haus Schlitten. Der Einsatz ihrer nagelneuen Langlaufskier muss weiter verschoben werden, da die Ausrüstung noch immer nicht komplettiert werden konnte. Nach einem Bummel durch das GUM, deren einzelne Läden nach wie vor wie leergefegt sind, entscheiden wir uns, einen Abstecher ins Lenin-Mausoleum zu machen, da gerade keine Warteschlangen zu sehen sind. Es ist geschlossen. Remont bis 15. Januar 1990. Voraussichtlich.

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