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ОглавлениеPer Express nach Hause
10. November –12. November 1989
Spät am Abend, als wir unsere letzte Meze-Mahlzeit schon hinter uns haben, wird der Wirt politisch. Er schildert uns ausführlich, wie er zum Zypernproblem steht. Die Teilung halte er für inhuman, vor allem weil viele Familien voneinander getrennt worden seien und die Politiker beider Seiten die Entfremdung vertiefen würden. Er wendet sich leicht resigniert ab, dreht sich dann doch noch einmal zu uns um und meint, in Deutschland werde ja nun alles anders, wo die DDR heute Nacht ja die Grenzen geöffnet habe.
Sollen wir das glauben?
Nach einem letzten Blick auf die Bucht von Pissoúri fahren wir zurück nach Lárnaka, wo am Abend ein sintflutartiger Wolkenbruch in kürzester Zeit die Straßen und Wege unter Wasser setzt, so dass wir in die nächstbeste Bar flüchten. Dort haben sich bereits - wie könnte es anders sein - die Deckers in Sicherheit gebracht. Weitere Kollegen sind nicht in Sicht. Als sich der Regen gelegt hat, gehen wir zu zwölft ins Restaurant Athene und belegen damit fast das gesamte Lokal. Bekannte Gesichter sehen wir auch dort nicht. Die sehr kinderfreundliche Bedienung schleppt für unsere Reisegruppe Full Meze heran. Horst und Bruni haben auch nur vage Informationen über die Grenzöffnung. Wir alle halten diese Meldungen eindeutig für Gerüchte, sind aber sehr scharf darauf, am Flughafen eine deutsche Zeitung zu ergattern.
Ein kleiner Zeitpuffer kann hin und wieder ganz nützlich sein. Auf der Anzeigetafel im Abflug-Terminal steht, dass unser Flug um 45 Minuten vorverlegt wurde. Trotzdem kommt eine leichte Unruhe auf, denn noch sind wir nicht durch die Kontrollen. Zum Glück sorgt die pure Anwesenheit einer MP-bewaffneten Polizeistaffel automatisch dafür, dass hier niemand Mätzchen macht und alles zügig vonstattengeht. Als wir die Wartezone betreten, winkt uns Familie Krehbiel zu, die die Revolutionsfeiertage in diesem Jahr unbedingt in Zypern verbringen wollten, statt ans Schwarze Meer zu reisen. Eric und Gisela sind mit den Krehbiels, deren zwei Kinder unsere Schule besuchen, befreundet. Das Erste, was alle vier unisono sofort loswerden müssen: „Habt ihr schon gehört - die Grenze ist offen!“ Die Zeitungen geben das nicht so konkret wieder, aber sie sind auch von gestern, also längst nicht mehr aktuell.
In der Tupolew nach Moskau sind auch noch Passagiere untergekommen, die nicht zur deutschen Kolonie gehören. Nach 3000 Kilometern beginnt der Landeanflug. Es ist 5:30 Uhr. Die Temperatur soll 3 Grad Celsius betragen. Wir streifen uns weitere Kleidungsschichten über.
Unser Taxifahrer schafft die Strecke bis in die Wawilowa locker in 40 Minuten. Bei dem flotten Tempo fällt ihm ständig seine selbstgebastelte Radioantenne entgegen. Mehr als einmal taucht er tastend in den Fußraum des Fahrzeugs ab, um dieses widerspenstige Teil erneut in eine kleine Öffnung am Radio zu fingern. Sein sportlicher Ehrgeiz verbietet es ihm, dabei den Fuß vom Gaspedal zu nehmen; anhalten käme schon gar nicht in Frage. Liebend gern würde ich ihm anbieten, als weitsichtiger Beifahrer die Aufgabe eines Kontaktmanns zu übernehmen. Eine Hand habe ich ja noch frei für so eine verantwortungsvolle Tätigkeit. Mit der anderen umklammere ich das Handgepäck, damit dies bei der Fahrweise nicht auch noch im Fußraum landet. Ein innerer Impuls mahnt mich, den Fahrer nicht besserwisserisch zu bevormunden. Jetzt, wo wir heil die Wawilowa erreicht haben, wühlt unser Chauffeur in der Mittelkonsole das Taxameter frei und zeigt mit seinem Finger auf die Summe. Ein viel zu hoher Preis. Mit ziemlicher Sicherheit hat er an dem Ding herummanipuliert. Nach fast drei Monaten Moskau sind wir noch nicht vor Anfängerfehlern gefeit.
Wenigstens ist die Wohnung warm und unversehrt, die Küche frei von Überschwemmungen.