Читать книгу Das richtige Essen in der Schwangerschaft - Lily Nichols - Страница 31
Leber
ОглавлениеViele Menschen bezeichnen die Leber humorvoll als das Multivitamin der Natur. Wenn Sie mich fragen, haben sie damit völlig recht. Neben den Eiern ist die Leber die zweite wichtige Nahrungsquelle für Cholin. Außerdem enthält dieses Organ so gut wie jedes Vitamin und Mineral, das die moderne Ernährungswissenschaft bislang identifizieren konnte.
Kein anderes Nahrungsmittel enthält zum Beispiel so viel Eisen wie die Leber. Eisen schützt werdende Mütter nicht nur vor Eisenmangel, sondern auch vor vielen anderen gesundheitlichen Problemen. Das in Leber enthaltene Eisen (und in der Regel in allen tierischen Nahrungsmitteln) ist das sogenannte Häm-Eisen, das im Gegensatz zu Eisensupplementen keine lästige Verstopfung verursacht. Niedrige Eisenwerte in der Schwangerschaft erhöhen das Risiko für Präeklampsie, Hypothyreose und Frühgeburt. Außerdem wirkt sich der Eisenspiegel der Mutter direkt auf den des ungeborenen Kindes aus, niedrige Werte werden dabei mit verringerter Hirnfunktion und Wachstumsstörungen in Verbindung gebracht.20 In einer Studie konnten bei Säuglingen, deren Mütter während der Schwangerschaft an Eisenmangel litten, im Rahmen der Vorsorgeuntersuchungen im Alter von zehn Wochen und später im Alter von neun Monaten kognitive Entwicklungsverzögerungen festgestellt werden.21
Außerdem enthält Leber sehr viel Folat und Vitamin B12, was die roten Blutkörperchen gesund hält und dafür sorgt, dass sich das Gehirn Ihres Babys gut entwickeln kann. Folat ist wichtig, um angeborenen Missbildungen vorzubeugen. Die meisten Frauen nehmen dafür extra Nahrungsergänzungsmittel ein (in der Regel synthetisch hergestellte Folsäure) und nur wenige wissen, dass Folat aus der Leber der synthetischen Variante weitaus überlegen ist. Bis zu 60 % der Bevölkerung ist nicht in der Lage, die synthetische Folsäure, wie sie in Nahrungsergänzungsmitteln enthalten ist oder Lebensmitteln zugesetzt wird, überhaupt oder nur eingeschränkt zu verarbeiten. Grund dafür ist eine häufig auftretende genetische Variation in einem Enzym, der so genannten MTHFR.22 Wenn Sie Leber essen, können Sie ganz sicher sein, dass Sie eine Form des Folats zu sich nehmen, die ihr Körper auf jeden Fall verwerten kann, unabhängig von Ihrer genetischen Veranlagung. (Sie können Ihren MTHFR-Status über einen Gentest bestimmen lassen. Ihr Arzt kann Sie hierzu beraten. Siehe auch Kapitel 9. Wenn bei Ihnen eine MTHFR-Mutation festgestellt wurde, lesen Sie bitte Kapitel 6 für weiterführende Informationen zur Supplementierung).
Auf das Gewicht der Fleischware umgerechnet enthält Leber bis zu 200-mal mehr Vitamin B12 als Muskelfleisch (zum Beispiel Hühnchenbrust oder Steak). Die Bedeutung des Vitamin B12 für die Schwangerschaft wird häufig übersehen. Allerdings wird ein Vitamin B12-Mangel in der Schwangerschaft mit einem erhöhten Risiko für Neuralrohrdefekte und Fehlgeburten in Verbindung gebracht.23 So konnte eine umfangreiche Studie mit 11.000 Frauen aus 11 Ländern nachweisen, dass bei einem Vitamin-B12-Mangel das Risiko einer Frühgeburt deutlich steigt.24 Obwohl der Tagesbedarf an Vitamin B12 theoretisch auch über andere Nahrungsmittel außer Leber abgedeckt werden kann, haben Wissenschaftler herausgefunden, dass die aktuell empfohlene Tagesmenge für dieses Vitamin nicht ausreicht, um einen optimalen Vitamin-B12-Status im Körper zu erreichen. In der Tat geht man mittlerweile davon aus, dass der tatsächliche Bedarf an B12 dreimal so hoch ist wie die aktuellen Richtlinien empfehlen.25 Es versteht sich von selbst, dass man besser beraten ist, sich an den höheren Werten zu orientieren.
Leber enthält auch sehr viele fettlösliche Vitamine, einschließlich Vitamin A, D, E und K. Alle diese Nährstoffe sind über die Nahrung schwer zu bekommen. Ihnen wurde vielleicht gesagt, dass Sie während der Schwangerschaft keinesfalls Leber essen sollten, gerade weil sie sehr viel Vitamin A enthält. Das hat über die Jahre hinweg zu zahlreichen kontroversen Diskursen geführt, hauptsächlich, weil veraltete Studien hoch dosiertes synthetisches Vitamin A mit angeborenen Fehbildungen in Verbindung brachten. Heute wissen wir jedoch, dass natürliches Vitamin A keinerlei Toxizität hat, vor allem nicht, wenn es zusammen mit Vitamin D und Vitamin K2 eingenommen wird. Leber enthält beide Vitamine in großen Mengen.26 An diesem Beispiel lässt sich besonders schön sehen, dass Nährstoffe aus natürlichen Nahrungsmitteln eine größere Sicherheit geben als Nahrungsergänzungsmittel. Ein Wissenschaftler formulierte es so: „Das teratogene (fruchtschädigende) Potenzial der Leber ist nicht gleichzusetzen mit dem von Nahrungsergänzungsmitteln. Die Empfehlungen für schwangere Frauen bezüglich des Verzehrs von Leber während der Schwangerschaft sollte revidiert werden.“27
Die hartnäckigen Bedenken bezüglich der toxischen Wirkung von Vitamin A durch den Konsum von Leber sind irreführend, besonders wenn man bedenkt, dass schwangere Frauen häufig einen Vitamin-A-Mangel haben.
In einer Studie konnte festgestellt werden, dass die Vitamin-A-Werte bei einem Drittel der Schwangeren grenzwertig waren, obwohl diese freien Zugang zu Lebensmitteln mit Vitamin A hatten.28 Dabei weiß man, wie wichtig dieser Nährstoff für das gesunde Wachstum und die normale Entwicklung des ungeborenen Kindes ist, einschließlich der Entwicklung von Lungen, Nieren, Herz, Augen und anderen Organen. Selbst die National Institutes of Health stipulieren „schwangere Frauen haben einen höheren Bedarf an Vitamin A, um eine gesunde Entwicklung des Fötus gewährleisten und den eigenen Stoffwechsel aufrechthalten zu können.“29 Natürlich ist jeder Nährstoff in hohen Dosierungen problematisch. Vitamin A gehört zu den fettlöslichen Vitaminen und das Risiko einer Überdosierung sollte man ernst nehmen. Aber angesichts dessen, was wir über Mangelerscheinungen und die Unbedenklichkeit der natürlichen Variante dieses Vitamins wissen, kann man die weit verbreiteten Warnungen bezüglich dieses wertvollen Nahrungsmittels nicht mittragen. Die Leber gehört zu unseren wichtigsten Quellen für Vitamin A überhaupt. Tatsächlich stellt der Verzicht auf den Verzehr von Leber ein echtes Problem dar. In einer holländischen Studie mit 1.700 Frauen konnte nachgewiesen werden, dass alle Frauen, die Leber aßen, einen gesunden Vitamin A-Spiegel hatten. Von den Frauen, die keine Leber aßen, erreichten 70 % die empfohlene Tagesmenge nicht.30 Diese Studie ist wichtig, weil sie das Augenmerk auf eine große Lücke in den regulären und offiziellen Empfehlungen zur Ernährung während der Schwangerschaft lenkt. Allgemein geht man davon aus, dass ein Vitamin A-Mangel nur in armen Ländern vorkommt, in denen die Frauen begrenzt Zugang zu Nahrungsmitteln haben. Diese Studie wurde aber in einem der reichsten Länder der Erde durchgeführt. In diesem Fall geht es nicht darum, dass der Zugang (oder die finanziellen Mittel) zu den Nahrungsmitteln fehlt, sondern darum, dass die Frauen bewusst davon abgehalten werden, diese Nahrungsmittel zu konsumieren.
Folgendes Zitat beschreibt sehr treffend die Diskrepanz zwischen Wissenschaft und Ernährungspolitik (und erklärt zum Teil den Irrsinn, dem sich schwangere Frauen ausgesetzt sehen, wenn es um die Ernährung geht): „Schwangeren Frauen und denen, die schwanger werden wollen, wird allgemein davon abgeraten, Leber und Lebererzeugnisse zu essen, dabei sind sie wichtige Quellen für natürliches Vitamin A. Dafür gibt es keine wissenschaftlichen Belege.“31
Nichtsdestotrotz empfehlen die offiziellen Richtlinien, auf so genannte „sichere“, also pflanzliche, Quellen für Vitamin A zurückzugreifen. Leider geht dieser Rat nach hinten los, denn pflanzliches Vitamin A ist nicht das Gleiche wie tierisches Vitamin A. Pflanzliche Nahrungsmittel wie Süßkartoffeln, Möhren und Grünkohl enthalten zwar Carotinoide (Provitamin A), aber kein echtes, vorgeformtes Vitamin A (Retinol). Theoretisch kann unser Körper das Provitamin A zwar in echtes Vitamin A (Retinol) umwandeln, aber die Umwandlungsrate variiert von Mensch zu Mensch und wird zum Teil durch genetische Faktoren beeinflusst.32 Das am häufigsten diskutierte Carotinoid, Betacarotin, ist bis zu 28-mal weniger wirksam als Retinol.33 Paradoxerweise gilt: Je mehr Betacarotin Sie essen, desto weniger wandeln Sie in Vitamin A um.34 Das bedeutet, dass Sie unbedingt vorgeformtes Vitamin A zu sich nehmen sollten – zum Beispiel über Leber oder andere tierische Produkte – damit Sie und Ihr Baby ausreichend versorgt sind. Einfach nur mehr Möhren essen wird nicht genügen.
Nur wenige Gramm Leber ein- oder zweimal pro Woche reichen aus, um Ihren Bedarf an Vitamin A zu decken. Kombinieren Sie die Leber mit pflanzlichem Carotin und anderen Nahrungsmitteln, die Vitamin A enthalten (Weidebutter, tierische Fette aus artgerechter Haltung, Eigelb usw.). In Südafrika gibt es eine Gemeinschaft von Schafzüchtern, die im Durchschnitt 2 bis 3 Mal im Monat Schafsleber verzehrt und in der Vitamin A-Mangel äußerst selten ist – bei nur 6 % der Kinder und keinem der Erwachsenen dort wurde ein entsprechender Mangel festgestellt. Im Gegensatz hierzu stehen die Daten aus dem restlichen Südafrika, in dem Leber nur selten auf dem Speiseplan steht. Dort haben 64 % der Bevölkerung einen Vitamin A-Mangel.35 Im Großen und Ganzen ist es von Vorteil, ab und zu Leber zu essen, die Vorteile überwiegen bei weitem die Nachteile. (Die eine Ausnahme bildet die Eisbärenleber, die so viel Vitamin A enthält, dass der Konsum für jeden Menschen schädlich wäre.36 Daran müssen Sie aber nur denken, wenn Sie eine Expedition in die Arktis planen sollten.)
Wenn die Vorstellung Leber zu essen für Sie neu und unbekannt ist oder Sie den Gedanken daran einfach widerlich finden, sind Sie nicht allein. Früher war Leber ein fester Bestandteil eines jeden Speiseplans, aber die wenigsten von uns haben als Kind Leber gegessen. Wenn Sie sich erst langsam an den Geschmack gewöhnen wollen, können Sie Leber ganz einfach in Ihren Gerichten „verstecken“. Am besten gelingt das mit Hackfleisch. Im Anhang finden Sie meine Ideen, wie man Leber sehr effektiv in Rezepten wie Chili mit Rind, aber ohne Bohnen, Hackbraten aus Weidefleisch, Low-Carb Shepherd’s Pie, zweimal gebackener Spaghetti Kürbis mit Hackbällchen und selbstgemachter Leberpastete verstecken kann. Außerdem können Sie auch mit Hühnerleber experimentieren, die einen milderen Geschmack hat als Rinderleber.
Bitte achten Sie beim Kauf unbedingt auf Qualität. Die Leber ist ein Entgiftungsorgan, die Giftstoffe entfernt und Nährstoffe einlagert. Daher sollten Sie ausschließlich Leber von gesunden, artgerecht aufgezogenen Tieren aus Weidehaltung kaufen. Der Vorteil ist, dass Leber – anders als Steak – sehr preisgünstig ist, gönnen Sie sich also die beste Qualität, die Sie finden können. Wenn Sie sich wirklich nicht überwinden können, Leber zu essen, gibt es noch die Möglichkeit, diese in getrockneter Form als Nahrungsergänzungsmittel einzunehmen.